Gelsenkirchen. . Gemeindevorsitzende Judith Neuwald-Tasbach erklärt das Fest Rosch Haschana. Sie hofft auf ein gutes und friedliches Jahr ohne Zwischenfälle.

Die Zahl 5779 hat für Gelsenkirchener mit jüdischem Glauben eine besondere Bedeutung: Am Sonntag, 9. September, starten die Feierlichkeiten für das neue Jahr im jüdischen Kalender – und das wird das 5779. sein. „Vom 9. bis zum 11. September wird dann Rosch Haschana gefeiert“, erklärt Judith Neuwald-Tasbach.

„Das Fest beginnt mit einem Gottesdienst, bei dem unser Rabbiner während des Gebets auch die Schofar anstimmen wird“, erzählt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, während Rabbiner Chaim Kornblum die kleine Hallposaune, die aus dem Horn eines Widders gefertigt wurde, demonstriert. „Während des Gebets wird die Tonfolge vom Gebetbuch genau vorgegeben“, erzählt Neuwald-Tasbach. Rosch Haschana wird in der Thora auch „Tag des Schofars“ genannt. „Durch das Blasen der Schofar würdigen wir Gott als Herrscher der Welt“, betont Chaim Kornblum.

Musikalisches Zeichen für eine Zeit der Besinnung

Für die Gemeinde läutet das musikalische Zeichen eine Zeit der Besinnung ein. „Bei unserem Neujahresfest geht es darum, frisch und unbelastet in ein neues Jahr zu gehen. Deshalb ist es wichtig, dass man vorab mit sich und seinem Umfeld ins Reine kommt“, so die Gemeindevorsitzende: „Rosch Haschana ist auch ein Anlass, um über eigene Sünden nachzudenken und um Vergebung zu bitten.“

Die Synagoge wird an den Neujahrsfeiertagen weiß geschmückt, um Reinheit zu symbolisieren. Nach dem Gottesdienst am Vorabend läutet ein gemeinsames Abendessen die Feiertage ein. „Traditionell wird dabei ganz viel Honig gegessen, etwa in Honig getauchte Apfelstückchen, damit es ein süßes neues Jahr wird. Und die traditionellen Mohnzöpfe werden für Rosch Haschana rund gebacken, auf dass im neuen Jahr alles rund laufen möge“, sagt Judith Neuwald-Tasbach, die sich ein Jahr 5779 ohne Zwischenfälle wünscht.

Verunsicherung nach Anschlag am hellichten Tag

„Der Anschlag auf unsere Synagoge am 1. August, bei dem am hellichten Tage ein Stein durch ein Fenster geworfen wurde, hat unsere Gemeindemitglieder schwer verunsichert“, berichtet sie. „Vor allem Kinder und Jugendliche haben inzwischen Angst, zu ihrem jüdischen Glauben zu stehen. Und wir verzeichnen immer mehr Mitglieder, die unsere Gemeindebriefe nicht mehr nach Hause geschickt bekommen wollen, da sie nicht möchten, dass ihre Nachbarn erfahren, dass sie jüdischen Glaubens sind.“ Auch das „Wegschauen“ sei beunruhigend: „Dieser ‘schweigende’ Antisemitismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch dem gilt es, entgegenzuwirken.“

Gedenkstätte in Horst-Süd bekommt eine neue Skulptur

Am 11. September 1944 starben durch einen Bombenangriff auf die Gelsenberg Benzin AG mindestens 150 jüdische Zwangsarbeiterinnen. An sie erinnert seit vielen Jahren eine Gedenkstätte auf dem Friedhof am Schleusengraben in Horst-Süd. Doch diese ist ‘in die Jahre gekommen’, wie es Judith Neuwald-Tasbach beschreibt: „Eine kleine Runde trifft sich jedes Jahr am 11. September auf dem Horster Friedhof, um sich mit einer Gedenkfeier an die Frauen, die einst auf dem Werksgelände verbrannt und verscharrt wurden, zu erinnern.“

Azubis setzen sich mit jüdischer Kultur auseinander

Bislang war die Gedenktafel auf dem Friedhof kaum sichtbar. Das soll sich in diesem Jahr ändern: Steinmetzschüler des Hans-Schwier-Berufskollegs haben eine neue Skulptur für die Gedenkstätte geschaffen, die eine stilisierte Frau zeigt und ein sehr passendes Zitat von George Eliot in deutscher und hebräischer Schrift damit kombiniert. „Wir sind den Schülern sehr dankbar für ihre Arbeit“, so Judith Neuwald-Tasbach, deren Mutter den Anschlag seinerzeit überlebte.

Mit einer Gedenkfeier am Sonntag, 16. September, um 11 Uhr sollen auch eine neue Namentafel und eine Erinnerungs-Orte-Tafel vom Institut für Stadtgeschichte eingeweiht werden. „Für diesen Termin reisen auch Hinterbliebene der Opfer und der Retter an“, sagt die Gemeindevorsitzende. Mit einem Gedenk- und Friedenskonzert will die Jüdische Gemeinde am gleichen Tag um 17 Uhr im Kurt-Neuwald-Saal der Neuen Synagoge zudem ein Zeichen setzen: „Für eine friedliche Zukunft ohne Rassismus, Hass und Antisemitismus“, wie Neuwald-Tasbach betont.