Er ist seit 70 Jahren der Erste, der dieses Amt in der Stadt wieder ausübt: Chaim Kornblum arbeitet seit zwei Monaten in der Jüdischen Gemeinde als Rabbiner. "Ich möchte Verständnis wecken für das Judentum", sagt der 47-Jährige

Chaim Kornblum ist orthodoxer Jude. Lebt streng nach den Gesetzen.
Chaim Kornblum ist orthodoxer Jude. Lebt streng nach den Gesetzen. "Zu streng", sagt der Rabbiner, "darf man in einer Stadt wie Gelsenkirchen aber auch nicht sein." Foto: WAZ, Thomas Schild © WAZ

60 JAHRE ISRAEL JÜDISCHES LEBEN IN DER STADT Diesem Mann gibt man besser nicht die Hand. Nicht, weil er unfreundlich wäre, oder man selbst oder sonst etwas verkehrt und nicht im Sinne der Freundlichkeit macht. Sondern aus einem ganz gewichtigen, weil hochtheologischen Grund: "Im Judentum gilt es als die größte Ehrerbietung gegenüber einer weiblichen Person, keinerlei Körperkontakt zu ihr zu haben", erklärt Chaim Kornblum.

Dass das gar nicht streng, schon gar nicht besserwisserisch klingt - es liegt wohl daran, dass der neue Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen wenig streng und wenig besserwisserisch ist. Und ganz nebenbei: Was hier im Satz versteckt ist, ist eine kleine Sensation. Denn Chaim Kornblum ist nicht nur der neue Rabbiner in Gelsenkirchen. Er ist der erste Rabbiner in dieser Stadt seit 70 Jahren, der in einer Jüdischen Gemeinde wieder als solcher arbeitet.

Wer ist also dieser Mann? "Ich habe einen sehr starken Glauben", sagt er über sich. Was das heißt? Die jüdischen Gesetze einhalten, die in der Schrift geschrieben stehen. Regelmäßige Gebete nicht nicht nur an den Feiertagen wie Samstag, Kleidervorschriften beachten, wie das Tragen der Kipa, koscher essen, oder eben: Frauen nicht die Hand schütteln. Aber, betont Chaim Kornblum, er sehe schon, dass es in einer Stadt wie Gelsenkirchen auch Offenheit brauche. Nachsicht und Geduld. "Der Dialog der Religionen ist wichtig, dass unsere Synagoge ein offenes Haus ist. Dass ich bei Menschen, auch Nichtjuden, Verständnis für das Judentum wecken kann." Es sei nunmal eine Tatsache, dass 99 Prozent der Gemeindemitglieder aus den Staaten der ehemaligen UdSSR eingewandert seien. Es sei nunmal Tatsache, dass viele Moslems in der Stadt leben. Es sei nunmal Tatsache, dass die Synagoge mitten im Zentrum läge. "Ich möchte versuchen, ein offenes Ohr zu haben."

Dazu gehört auch, dass der 47-Jährige nicht nur deutsch, sondern auch russisch spricht - eines der Kriterien für seine Einstellung. Als Rabbiner hat er - noch mehr als ein christlicher Pfarrer - vordringlich die Aufgabe, Seelsorge zu betreiben. "Menschen erzählen offener in ihrer Muttersprache, das ist nunmal so."

Nun arbeitet er seit zwei Monaten in seinem neuem Job. "Viel Arbeit", sagt er. Aber auch viel Freude. Mit seiner Familie wohnt er gleich um die Ecke von der Synagoge. Und wenn wir dann doch noch über Politik reden, über Juden und Deutsche 70 Jahre nach der Reichspogromnacht, 60 Jahre nach der Gründung des Staates Israel, wenige Jahre, nachdem er in seiner ersten Gemeinde in Lübeck erlebt hat, wie es ist, wenn ein Anschlag auf die eigene Synagoge verübt wird . . . Dann bleibt Chaim Kornblum, was er schon zu Beginn des Gespräches war. Freundlich und bescheiden. "Es ist nicht schön, wenn man sowas miterlebt. Aber ich habe auch viel Freundlichkeit erfahren. Als ich mit meiner Familie in Essen in der Eisdiele war, hat mich jemand mit ,Shalom' angesprochen. Ich selbst habe mein ganzes Leben lang keine Diskriminierungen erlebt."

Dass das so bleibt: Menschen das Judentum verstehen und auch verstehen, dass es gar nicht so anders ist. "Das sehe ich als eine meiner wichtigsten Aufgaben an", sagt der Rabbiner. Die Hand gibt er auch zum Abschied nicht. Aber ein Lächeln und eine kleine Verbeugung. Shalom, Chaim Kornblum.