Gelsenkirchen. . Der Gelsenkirchener Fitness-Unternehmer Martin Rinke empfiehlt der Stadt, mehr Tempo vorzulegen, attraktive Alleinstellungsmerkmale zu schaffen.
Als Inhaber und Geschäftsführer der Fitness-Kette Injoy hat Martin Rinke täglich mit vielen Menschen zu tun. Ihm gefällt es ganz und gar nicht, dass Gelsenkirchen als Platzhalter für schlechte Lebensqualität und weitere „rote Laternen“ in Rankings herhalten muss.
Im Gespräch mit Redaktionsleiter Steffen Gaux erklärt der Unternehmer, dass Gelsenkirchener sehr wohl Lebensqualität schätzen – und hier auch finden.
Herr Rinke, Sie haben mit vielen Menschen hier zu tun. Wie reagieren die Gelsenkirchener aus Ihrer Sicht auf das Ergebnis der Studie?
Martin Rinke: Es gibt da bestimmt zwei Wahrnehmungen. Die eine, von Menschen die hier glücklich und zufrieden leben – nach dem Motto: Was wollen die denn von uns? Und die andere, die zustimmende und eh alles schwarzmalende. Wahrscheinlich hat jeder für sich in seiner eigenen Wahrnehmung und Welt recht.
Auch das Bewusstsein bestimmt das Sein
Welcher Wahrnehmung stimmen Sie denn eher zu?
Ich finde die doch arg strapazierte Frage nach der Ist-Beschreibung unglaublich langweilig. Die führt auch zu nichts. Es gibt einen Satz von Karl Marx, wonach gesellschaftliches Sein das Bewusstsein bestimmt. Das mag so sein. Ich glaube aber auch, dass das Bewusstsein das Sein bestimmt. Wenn wir uns andere Orte angucken, dieses „Mia san mia“ in München oder dass Köln „die schönste Stadt der Welt“ ist – das nenne ich Selbstbewusstsein. Und wenn ich mir dann überlege, wie wir vom Selbstverständnis mit uns selber umgehen, dann beginnen da schon die Probleme. Viel spannender sind also die Fragen: Wie geht’s weiter? Was tun wir in Zukunft? Denn Beklagen von Ist-Situationen ist Stillstand – und Stillstand ist Rückschritt.
Trotzdem muss ich etwas zum Ist-Zustand fragen: Das Ergebnis der Studie heißt übersetzt, dass es keinen anderen Ort in Deutschland gibt, an dem es sich schlechter leben lässt als in Gelsenkirchen. Finden Sie das gerechtfertigt?
Da spreche ich gern über meine Branche: Fitness, Gesundheit und Freizeit. Da habe ich regelmäßig mit 150 Kollegen zu tun, die Injoy-Sport- und Gesundheitsclubs in ganz Deutschland betreiben. Die sagen mir immer: Die Menschen im Ruhrgebiet sind so locker, da sitzt auch mal der Euro locker. In anderen, eher bürgerlich anmutenden Städten – Lingen zum Beispiel – gelte eher die Mentalität: Haben kommt von Behalten. Zu den erfolgreichsten Injoy-Clubs in Deutschland gehören der von meinem Kollegen Paul Underberg in Dorsten und der von Martin Rinke in Gelsenkirchen.
Für viele unvorstellbar: ein Leben ohne Fitness
Warum ist das so?
Wir bieten hochwertige Angebote und qualifizierte Betreuung. Unsere Gäste honorieren das und haben bestens verstanden, dass diese Leistungen auch etwas mehr kosten. Kollegen in vermeintlich „besseren“ Gegenden Deutschlands bekommen ihre Leistung in ihrer Wahrnehmung oft nicht auskömmlich bezahlt. Mir haben viele Freunde, Bekannte und auch Berater gesagt – bereits 1990 als ich den Schalker Sportpark gekauft habe und später bei all den vielen innovativen Erweiterungen: Rinke, bist du bescheuert, was investierst du in diese Stadt? Ich sage: Wir müssen qualitativ hochwertige Angebote schaffen, dann bekommen wir auch die entsprechende Nachfrage. Andere sagen: Die Nachfrage ist nicht da – also versuchen wir es gar nicht. Das halte ich für falsch!
Das ist ja schon fast eine politische Frage: Was ist zuerst da – Angebot oder Nachfrage?
Stimmt. Von unseren 3500 Gästen wussten vor zehn Jahren ganz viele überhaupt nicht, was Fitness für die Verbesserung ihres Lebensgefühls bedeuten kann. Viele von ihnen können sich heute ein Leben ohne regelmäßiges Muskeltraining gar nicht mehr vorstellen.
Dat wird hier eh nix: Das muss verschwinden
Das heißt, Sie haben durch ein Angebot eine Nachfrage erzeugt.
Genau. Wir haben ein Bedürfnis geweckt, das es vorher in dieser Form bei vielen nicht gegeben hat.
Kommen wir mal zurück zur Stadt. Was muss sich ändern?
Ich glaube, Politik und auch Verwaltung haben inzwischen verstanden, dass sich am Klima, an der Haltung etwas ändern muss. Der alte Ruhrgebietsblues à la „Dat wird hier eh nix“ muss aus den Köpfen der Menschen verschwinden. Übrigens nicht nur da.
Sie haben davon gesprochen, dass bei Menschen, die Sie treffen, oft eine negative Grundhaltung zu spüren ist. Ist es wirklich so?
Bei vielen Menschen ja. Aber es ändert sich. Wenn ich zum Beispiel mit der Stadtspitze oder befreundeten Unternehmern spreche, spüre ich Aufbruchsstimmung. Das bedeutet aber auch: Ärmel hochkrempeln und neue Wege gehen! Geschwindigkeit wird künftig eine entscheidende Rolle spielen. Die alten Wege sind ja nun spätestens dieses Jahr wirklich zu Ende.
Früher war eben nicht alles besser
Sie meinen die Schließung der letzten Zeche?
Ja. Seit 50 Jahren wissen wir, dass das irgendwann vorbei ist. Dieser nostalgische Irrglaube „Früher war alles besser“ liegt nämlich definitiv am schlechten Gedächtnis. Früher war hier gar nichts besser. Viele ungesunde Arbeitsplätze, schlechte Luft für alle und eben auch Einwanderung, die ja heute so viel diskutiert wird. Die kam früher aus Südeuropa und Asien, davor aus Polen. Auch da gab es große Integrationsprobleme. Meine leider vor kurzem verstorbene 102-jährige Oma konnte da so manche Geschichte erzählen. Heute haben wir eine andere, vielleicht etwas schwierigere Situation mit einem anderen Kulturkreis, mit einer anderen Religion.
Wer ist jetzt wie gefordert?
Ich glaube, dass es eine Verpflichtung gibt von Land und Bund, in dieser Region mehr zu tun. Nur darauf warten würde ich nicht. Weil es wieder Stillstand bedeuten würde. Ich glaube, dass all diejenigen, die jetzt hier gesellschaftliche Verantwortung tragen, dafür sorgen müssen, dass die jungen Leute hier bleiben und bestenfalls noch welche dazukommen. Es gibt so viele Möglichkeiten und Chancen in unserer Stadt, nicht zuletzt aufgrund der vergleichsweise äußerst günstigen Mieten. Seniorenwohnheime in der Innenstadt sind bestimmt eine tolle Sache. Parallel müssen dann aber auch Quartiere geschaffen werden, in denen junges, studentisches Wohnen günstiger als anderswo möglich ist. Da sollte selbstverständlich das eine oder andere Bier dann im Sommer draußen auch noch etwas später getrunken werden können. Da sind allerdings auch die Immobilienbesitzer gefordert. Auch bei der Vermietung gilt: Schnell und einfach ist nicht immer besser. Viele Innenstädte sehen inzwischen doch gleich aus. Überall dieselben 25 Ketten. Langweilig und einfallslos! Dem etwas entgegenzusetzen, das wäre ein Alleinstellungsmerkmal.
Günstig wohnen, besondere Angebote
Haben Sie ein Beispiel?
Wo gehen Sie lieber essen? Beim Italiener, der Giovanni heißt, Sie mit Namen begrüßt und weiß, wie Sie Ihre Pasta mögen? Oder etwa zu Pizza-Hut, wo Ihnen das Essen anonym durchgereicht wird? Das ist doch die Welt, in der wir jetzt gerade leben; das ist doch das, was gerade kommt. Das ist konfektionierte Leistung in einer konfektionierten Welt. Wenn das die Zukunft ist. . . Da können wir in Gelsenkirchen gegenhalten. Wir sind gerade im Umbruch. Wir alle sind gefordert – auch als Konsumenten. Die Feierabendmärkte in Gelsenkirchen und Buer sind doch wunderbar. So etwas ist großartig!
Fallen Ihnen andere Beispiele ein?
In Berlin wandert die Kultur und die Szene – da wo Innovation stattfindet – immer dorthin, wo günstige Mieten sind. Das war nach der Wende der Prenzlauer Berg. Jetzt ist die Szene in Neukölln und zieht bestimmt bald weiter. Da sind jetzt die kleinen Galerien, was in Ückendorf ja gerade auch schon passiert. Da gibt’s die ersten Ansätze. Gelsenkirchen als Stadt des im Vergleich zu anderen Städten günstigen Wohnens mit besonderen Angeboten und Dienstleistungen – auch in der Verwaltung. Insbesondere da, wo mittelständische Unternehmen in dieser sich immer schneller drehenden Welt auf Genehmigungen, Konzessionen und mehr angewiesen sind. All das individueller, schneller und somit besser als anderswo. Das wäre doch schön!