Gelsenkirchen. . Seit Verwaltungsrichter die Abschiebung des Gefährders Sami A. verboten, blickt Deutschland nach Gelsenkirchen. Die Juristen bleiben beharrlich.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen steht in seiner Stadt eher in zweiter Reihe. Vom Bahnhof aus muss man um einen wenig schmucken Flachbau mit Friseur und Imbiss herum laufen, um einen Blick auf das eindrückliche Gerichtsgebäude mit Denkmalschutz, Backsteinfassade und Säulen vor dem Eingang zu werfen.

Seit 1986 ist dieses Gebäude vor allem ein Ort, an dem die vielen kleinen Streitigkeiten des behördlichen Alltags ausgefochten werden – angezweifelte Gebührenbescheide, beanstandete Bebauungspläne, seit 2015 zunehmend Klagen gegen abgelehnte Asylanträge.

Und dann kam Sami A.

Wohl selten hat ein einfaches Verwaltungsgericht so sehr im Rampenlicht gestanden wie Gelsenkirchen in dem politisch heiklen Fall des mutmaßlichen Leibwächters von Terrorführer Osama bin Laden. Am 12. Juli haben die Richter die Abschiebung des in Bochum lebenden Tunesiers verboten. Dem Ausreisepflichtigen, so die Begründung, drohe in seiner Heimat Folter.

Richter erfuhren erst später von der Abschiebung

Was die Richter nicht wussten: Während sie abends auf 22 Seiten ihre Eilentscheidung niederschrieben, bereiteten Behörden die auch von Bundespolitikern geforderte Abschiebung schon vor. Am Morgen des 13. Juli startete das gecharterte Flugzeug – die Richter erfuhren nach ihrer Darstellung trotz vorheriger Rückfrage erst Stunden später davon.

Seitdem fordern sie vehement, dass ihr Eilentscheid geachtet und Sami A. zurückgebracht wird – und Deutschland diskutiert darüber, was richtig und was rechtens ist.

Missachtung der rechtsstaatlichen Grundzügen

„So eine Zeit habe ich, haben wir hier in Gelsenkirchen noch nicht erlebt, das sucht seinesgleichen“, sagt Wolfgang Thewes. Damit meint der 58-jährige Richter und Sprecher des Verwaltungsgerichts nicht so sehr die unzähligen Interviews, in denen er erklären musste, warum das Gericht jetzt sogar per Zwangsgeld die Stadt Bochum zur Rückführung von Sami A. bewegen will.

A.’s Anwältin hatte das beantragt. Nein, Thewes geht es nicht um Rummel, sondern ums Grundsätzliche. „Was uns hier alle und auch über unser Gericht hinaus viele Juristen auf die Palme bringt, ist die Art, wie rechtsstaatliche Grundzüge missachtet werden“, sagt er.

Thewes kennt inzwischen jedes Detail des Verfahrens, jedes Datum und jede Uhrzeit genau – wie wohl viele seiner Kollegen. In der Kantine, auf den Fluren sei der Fall Sami A. Thema, die Empörung über das Vorgehen der Behörden sei groß. Ja, sogar in der Gerichtsbibliothek wird durchaus mit Stolz erzählt, welche Fernsehsender schon da waren. Der Fall A. schweißt zusammen. Auch von Juristen aus München und Thüringen habe es Zuspruch gegeben, sagt Thewes.

Frankierte Beleidigungen und Hassmails

Der Widerspruch überwiegt: Hassmails, frankierte Beleidigungen und Bedrohungen erreichen das Verwaltungsgericht und seinen Sprecher inzwischen. „Wir lesen nicht alles, man muss sich auch schützen“ sagt Thewes.

Was sagt er Bürgern, die einen Islamisten nicht zurückholen wollen? „Man muss die Emotionen von dem trennen, was Basis unseres Rechtsstaats ist“, antwortet Thewes. Und danach habe auch ein Gefährder Anspruch darauf, dass Urteile in seinem Fall respektiert werden.

Die Richter spürten, dass sich in der Gesellschaft etwas ändere. Die Zahl derer, die Urteile und Rechtsprechung partout anzweifeln, nehme zu, heißt es. Vielleicht reagierte das Verwaltungsgericht auch deshalb im Fall Sami A. ungewöhnlich offensiv: Noch am Tag der Abschiebung veröffentlichte es den konkreten Verfahrensablauf – ein einmaliger Vorgang. „Da haben sich hochrangige Politiker hingestellt und behauptet, wir hätten einfach zu spät reagiert. Das mussten wir auch klarstellen.“

Inzwischen liegt der Fall Sami A. beim Oberverwaltungsgericht Münster. Bochum hat Beschwerde gegen die Eilentscheidung der Gelsenkirchener Richter eingelegt. Bis zum 13. August musste die Stadt dies schriftlich begründen.