Gelsenkirchen-Buer. . Ernst-Georg Tiefenbacher, Vorsitzender des Mietervereins, spricht über den Wohnungsmarkt in Gelsenkirchen und die Gründe für Mieterhöhungen.

Explodierende Mieten, lange Menschenschlangen bei der Wohnungsbesichtigung, Veräußerung des kommunalen Wohnungsbestands an private Wohnungsunternehmen zur Sanierung des städtischen Haushalts: Seit Jahren bestimmt das Thema Wohnen die Schlagzeilen.

Wie sieht der Wohnungsmarkt in Gelsenkirchen aus? WAZ-Redakteur Wolfgang Laufs sprach mit Ernst-Georg Tiefenbacher, Rechtsanwalt und Vorsitzender des Mietervereins.

Einmal im Jahr wirbt die Gelsenkirchener Immobilienmesse mit dem Slogan: GE-wohnt gut. Wie gut wohnt es sich in Gelsenkirchen?

Ernst-Georg Tiefenbacher: Grundsätzlich gesagt: Ja, es wohnt sich gut in Gelsenkirchen. Aber ich höre auch viele Stimmen von Mietern, die sagen: Ich will wegziehen, hier wohnt es sich nicht gut. Da ich auch einige Vermieter vertrete, weiß ich, dass sich manche Dinge auch anders anhören.

Echte Wohnungsnot gibt es nicht

Aus Hamburg, Berlin, München und anderen Großstädten kennt man die Bilder von zahlreichen Bewerbern, die Schlange stehen vor dem begehrten Mietobjekt. Wie ist es um die Wohnungsnot in Gelsenkirchen bestellt?

Als Nachkriegskind weiß ich, was Wohnungsnot bedeutet: wenn vier, fünf Personen in einem Raum hausen müssen, wenn das Haus in Folge der Kriegsschäden einsturzgefährdet ist. Wohnungsnot in diesem Sinne haben wir in Gelsenkirchen nicht. Wenn ich höre „Ich würde gerne ausziehen, finde aber keine Wohnung zu einem angemessenen Mietpreis“, dann sage ich: Vielleicht beispielsweise nicht in Rotthausen, dann aber doch in einem anderen Stadtteil.

Der Wohnungsmarkt in Gelsenkirchen wird, historisch bedingt durch die einst an den Bergbau und die Stahlindustrie gebundenen Wohnungen, durch große Wohnungsunternehmen bestimmt, weniger durch private Vermieter.

Aber mit diesen privaten Vermietern kann man in aller Regel sprechen. Man hat es mit Menschen zu tun, die ihre Mieter und ihre Immobilien kennen. Diese Menschen haben ein Herz. Die großen Wohnungsgesellschaften sind juristische Personen, agieren unpersönlich. Da ist es nicht immer leicht, einen zuständigen und auch kompetenten Gesprächspartner zu finden.

Auch mit Verwalterwwechsel kann man Geld machen

Heute Vonovia, davor Deutsche Annington, Viterra, Veba Wohnen oder Veba Immobilien: Man hat den Eindruck, Wohnungsunternehmen wechseln alle halbe Jahre ihren Namen.

Viele Mieterinnen und Mieter, die zu uns kommen, sagen: Jetzt haben wir schon wieder einen neuen Vermieter. In der Regel hat aber ein Verwalterwechsel stattgefunden. Und auch mit solch einem Verwalterwechsel kann man Geld machen, das hat sich in der Branche inzwischen herumgesprochen.

Wie leicht oder wie schwer ist es, als Mieter sein Recht durchzusetzen?

Vor dem Gesetz sind alle gleich, Mieter wie Vermieter. Aber aus heutiger Sicht ist der Mieter mit dem Mietrecht überfordert, der Mieter steht dem eher hilflos gegenüber. Die Bundesregierung ist zwar angetreten, das Mietrecht einfacher zu gestalten. Aber das ist bisher nicht geschehen. Anwälte und Mietervereine dürften sich darüber freuen...

Welche Streitigkeiten stehen im Vordergrund?

Zu den Top-Hits gehören die Nebenkostenabrechnungen, sie machen sicherlich bis zu 40 Prozent der Arbeit der Mietervereine aus. Erst kürzlich war der Mieterverein am Info-Stand der CDU Hassel vertreten. Auch dort ging es vor allem um Nebenkostenabrechnungen und den Verteilungsschlüssel, der sich, wenn nichts anderes im Mietvertrag vereinbart ist, zwingend nach der Quadratmeterzahl richtet. Die Folge: Eine alleinlebende Person zahlt im Verhältnis mehr Kosten als eine mehrköpfige Familie. Dann folgen Wohnungsmängel wie Feuchtigkeitsschäden und der daraus resultierenden Schimmelbildung. Und ganz aktuell: Mieterhöhungen. Da geben die großen Konzerne wie Vonovia und LEG richtig Gas.

Instandsetzung wird oft als Modernisierung getarnt

Inwiefern?

Etliche Wohnungen sind mangelhaft, herabgewirtschaftet. Nach dem Gesetz müsste in solchen Fällen der Vermieter erhebliche Instandsetzungsarbeiten durchführen. Die Kosten für Instandsetzungen muss der Vermieter aus der eigenen Tasche bezahlen. Da ist es aus Sicht der Wohnungsgesellschaften klüger, die dringend notwendigen Reparaturen als Modernisierung zu titulieren. Die Kosten einer solchen Modernisierung können in voller Höhe auf die Mieter abgewälzt werden – mit elf Prozent pro Jahr. Die Folge: Der Mieter erhält wieder einmal eine Mieterhöhung. Nach etwa neun Jahren hat der Mieter die Kosten der Reparaturen an den Vermieter gezahlt, obwohl diese allein vom Vermieter zu zahlen sind. Den Nutzen der Wertverbesserung hat aber der Vermieter. Dabei sollte man auf jeden Fall aber auch beachten: Der auf diese Weise gesteigerte Mietpreis fließt ja auch in den örtlichen Mietspiegel ein. Dadurch werden dann die Vergleichsmieten in die Höhe gepusht.

Oft ist es nicht nur der Mieter, der die zusätzlichen Kosten trägt.

Selbst wenn es vielleicht nur 38 Euro mehr im Monat sind: Das zu bezahlen, fällt vielen in Gelsenkirchen schwer. Beziehen diese Mieter dann noch Wohngeld, dann bezahlen wir alle als Steuerzahler diese Modernisierungskosten mit.

Gesetzgeber muss Niedrigzinsphase berücksichtigen

Damit kommt die Politik ins Spiel.

Die gesetzliche Regelung, dass nach Paragraf 559 des Bürgerlichen Gesetzbuches der Vermieter die Modernisierungskosten in voller Höhe auf die Mieter abwälzen darf, stammt aus den 1970er Jahren, also aus einer Zeit der Hochkonjunktur und Hochzinsphase. Nach Auffassung des Deutschen Mieterbundes als Dachorganisation der Mietervereine, die rund 1,3 Millionen Haushalte vertritt, ist die Umlage der Modernisierungskosten auf den Mieter systemwidrig. Aber es steht nicht zu erwarten, dass diese Umlage ersatzlos gestrichen wird. Angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase muss sie die heutigen Zinsverhältnisse abbilden und sollte unserer Auffassung nach bei vier Prozent liegen.

Angesichts der zahlreichen Mietprobleme und mit Blick auf die niedrigen Bauzinsen: Wäre es da nicht eher ratsam, Eigentum anzuschaffen?

Es gibt geborene Mieter und es gibt geborene Eigentümer und Vermieter. Deshalb lässt sich die Frage so einfach nicht beantworten. Als Mieter gibt es bestimmte Vorteile. Bei Reparaturen kann ich auf den Vermieter verweisen. Nimmt er diese nicht vor, besteht die Möglichkeit der Ersatzvornahme, so dass die Kosten mit der nächsten Mietzahlung verrechnet werden können. Als Eigentümer laufen sie ihrem Mieter unter Umständen hinterher oder müssen das Votum der Eigentümerversammlung einholen. Das ist nicht immer einfach.