Gelsenkirchen. . 198 Namensschildchen trägt der Baum der Erinnerung. Jedes erinnert an einen Drogentoten in Gelsenkirchen. Arzt Mobil gedenkt der Opfer

Um 12 Uhr dröhnt das Mittagsgeläut von den Türmen der beiden Altstadtkirchen am Heinrich-König-Platz. Pfarrer Ingo Mattauch hält kurz inne. Die Namen, die er verliest, werden sonst übertönt. Der katholische Geistliche erinnert an die Drogentoten der vergangenen Monate – an Josef und Roland, an Werner, Uwe, Andreas und Diana, an einen weiteren Uwe. Ach, der Lülle“ schnieft eine Frau, steht auf und setzt als Zeichen der Erinnerung eine große gelbe Sonneblume in eine Vase.

Auf einem Tisch liegt ein Kondolenzbuch aus

Blume für Blume füllt sich das Gefäß. Für Diana treten sechs, sieben Freunde vor, zeigen, dass die Verstorbene nicht vergessen ist. Auf einem Tisch liegt ein Kondolenzbuch aus. Für Diana und die anderen gibt es jetzt auch ein Namensschildchen aus Metall „Am Baum der Erinnerung“. Der steht mit seinen ausladenenden, aus Holz gesägten Ästen unter dem Pagodenzelt an St. Augustinus. Der Baum: Symbol des Lebens, auch für das Leben, das weitergeht. 198 Schilder hängen an den Ästen. Jedes für einen Drogentoten der vergangenen Jahre.

Spuren des gepflasterten Labyrinths

Vor der Kirche St. Augustinus stand das Pagodenzelt. Angehörige, Freunde und Bekannte, aber auch Polizisten und Feuerwehrleute zählten zu den Besucher.
Vor der Kirche St. Augustinus stand das Pagodenzelt. Angehörige, Freunde und Bekannte, aber auch Polizisten und Feuerwehrleute zählten zu den Besucher. © Joachim Kleine-Büning

Über den Platzboden ziehen sich die Spuren des gepflasterten Labyrinths, im Zentrum steht rund um ein stilisiertes Kreuz auf einer Metallplatte der Spruch: „Ich bin der Weg“. Der Ort passt zu den gewundenen, oft dramatischen Lebenswegen, die Drogenkonsumenten erleben, der oft weit vor der Zeit endet. 60, 70 Verwandte und Bekannte, Angehörige und Helfer haben sich versammelt. Zum Gedenken, zum Abschied nehmen, aber auch um miteinander zu sprechen, später ein Stück Pizza zu essen.

Über den Wolken zum Finale

Die Hilfs-Initiative „Warm durch die Nacht“ spendiert das Essen, das Arzt-Mobil steht am Kirchturm, auf manchen Shirts steht „Streetworker“. Die, die Menschen (über)-leben helfen, haben eingeladen: Der 20. Juli ist der Internationale Gedenktag der Drogentoten. Seit 2014 wird er in Gelsenkirchen vom Verein Arzt Mobil Gelsenkirchen gestaltet – mit Unterstützung von Pfarrein Zuzanna Hanussek, von ihrem katholischen Kollegen Mattauch, von Musiker Norbert Labatzki. Seine Saxofonklänge füllen gefühlvoll Besinnungspausen, für seine Lieder gibt es Applaus. „Über den Wolken“, diesen Sehnsuchtsklassiker singt er zum Schluss. Manche singen mit. Mit belegter Stimme und Tränen in den Augen.

„In meinem Herzen werden sie weiterleben“

Der Tod, so die Botschaft der Seelsorger, sei nicht das Ende. Und die Drogenopfer sollten „nicht verschwinden, als hätten sie nie gelebt“. Für Conny, eine Frau aus der Szene, ist diese Erinnerung wichtig. „Viele Freunde sind von uns gegangen und trotzdem in unseren Herzen geblieben“. Auch Torsten tritt vor ans Mikrofon. Viele, sagt auch er, habe er ans Heroin verloren. „Auch wenn ich nicht jeden Tag an sie denke, in meinem Herzen werden sie weiterleben.“ Für Karin Schneider von Arzt Mobil geht es am Gedenktag auch darum zu informieren, Öffentlichkeit zu schaffen.

Wie aktuell der Anlass leider immer wieder ist, macht sie deutlich: „In den letzten Tagen haben wir von weiteren Toten erfahren, die wir kannten. Das macht sehr betroffen.“

>> Verschiedene Hilfen von Arzt Mobil

Wie viele Abhängige von harten Drogen in Gelsenkirchen leben, können auch die Experten nur schätzen. Eine Zahl ist exakter: Um die 600 Substituierte gibt es – also Süchtige, die einen Drogenersatz bekommen.
Arzt Mobil bietet aufsuchende medizinische Hilfe, psychosoziale Betreuung, Streetwork; Kontakt: 0209 165 69 79