Gelsenkirchen. . Die Stadt startet den zweiten Anlauf, um Schöffinnen und Schöffen zu finden. Laienrichter können Berufsrichter sogar überstimmen.
Viele Gerichte haben Nachwuchssorgen. Die Gerichtsbarkeit in Gelsenkirchen ist mit Amtsgericht, Sozialgericht, Arbeitsgericht und Verwaltungsgericht besonders stark präsent. Immer schwieriger wird es auch, ehrenamtliche Richter zu finden. Die Justiz ist auf Laienrichter angewiesen. Sie haben in Prozessen die gleichen Stimmrechte wie Berufsrichter, können sie beim Urteil sogar überstimmen.
Das Referat Erziehung Bildung musste jetzt einen zweiten Aufruf starten, um ausreichend Jugendschöffen für die Amtsperiode von 2019 bis ‘23 zu finden. 236 Bewerber werden benötigt. Bisher gemeldet haben sich 150 Kandidaten.
Anzahl der Kandidaten noch nicht erreicht
Zwar werden nur 118 Jugendschöffinnen und -schöffen gesucht, doch muss die Position doppelt besetzt sein, damit auch Ausfälle kompensiert werden können. Von der Stadt angeschrieben wurden Jugend- und Wohlfahrtsverbände sowie die Fraktionen. Ähnlich sieht die Situation bei den benötigten Schöffen in Strafverfahren gegen Erwachsene aus. Das Referat Rat und Verwaltung muss dem Rat eine Vorschlagsliste mit 418 Personen vorlegen. „Die Anzahl an Kandidaten haben wir noch nicht erreicht“, bestätigt Norman Bork.
Der städtische Mitarbeiter erinnert sich, dass es vor fünf Jahren ähnlich lief. Auch in diesem Jahr will die Verwaltung in einem zweiten Schreiben Bürger auf die Bedeutung des Amtes für die ordentliche Justiz hinweisen. Sieben Vertrauenspersonen, die der Rat wählt, ein Verwaltungsbeamter und ein Richter bestätigen schließlich die Namen der ehrenamtlichen Richter für die kommende Wahlperiode.
Ausschuss genießt Anhörungsrecht
Während die Schöffen für Amts- und Landgerichte aus allen Gruppen der Bevölkerung ausgewählt werden können, sind die Positionen der ehrenamtlichen Richter am Arbeitsgericht paritätisch besetzt. Dem Berufsrichter stehen jeweils ein Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zur Seite. Von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften kommen in der Regel die Vorschläge. 111 ehrenamtliche Richter sitzen in den fünf Kammern gleichberechtigt mit dem Vorsitzenden am Richtertisch. In ihrer Vollversammlung wählen die Laienrichter einen Ausschuss, der ein Anhörungsrecht genießt und bei der Geschäftsverteilung mitwirkt.
Beratung in der Kammer erfolgt ergebnisoffen
Renate Schreckling-Kreuz, Vorsitzende der 5. Kammer, schätzt die Arbeit der ehrenamtlichen Richter. Sie ist überzeugt, dass Berufs- wie auch Laienrichter voneinander lernen. Schreckling-Kreuz: „Ich erfahre viel darüber, wie es in der beruflichen Praxis aussieht, die ehrenamtlichen Richter lernen, Fälle besser juristisch zu bewerten.“ Die Beratung in der Kammer erfolge immer ergebnisoffen. „Ich stelle den Fall oft zur Diskussion, so erhalte ich eine ungefilterte Meinung“, sagt die Berufsrichterin. Die Praxis zeigt, dass das Richterteam aus Profis und Laien funktioniert. Die meisten Entscheidungen in der Kammer sind einstimmig gefallen. Renate Schreckling-Kreuz erinnert sich nur an zwei Falle, in denen abgestimmt werden musste.
Lernen, Kompromisse zu schließen
Hans-Jürgen Muß, Elektrotechnik-Meister, ist seit Jahren ehrenamtlicher Richter. Er rät jüngeren Meistern, sich für das Amt zu bewerben. Man könne viel Erfahrung sammeln, lernen, Kompromisse zu schließen und sein Wissen über die Gerichtsbarkeit erweitern. Muß ist sicher, „dass auch die Berufsrichter dazulernen, wenn im Team Leute aus der Praxis sitzen und aufklärend über die Arbeitsabläufe im Betrieb berichten.“
Nach manchen Sitzungstagen geht Hans-Jürgen Muß auch schon mal mit Magenschmerzen nach Hause: „Ich weiß zwar, dass ich beim Urteil rechtlich richtig gehandelt habe, kann aber das verbleibende menschliche Problem nicht gleich ablegen.“
Das Mindestalter beträgt 25 Jahre
Ohne ehrenamtliche Richter kann die Rechtsprechung nicht funktionieren. An Amts-, Sozial- und Arbeitsgerichten können Laienrichter in der 1. Instanz die Berufsrichter sogar überstimmen. Am Sozialgericht sind 31 Richter/innen beschäftigt. An der Rechtsprechung wirkten 329 ehrenamtliche Richter, darunter 154 Frauen mit.
Besonders groß sind am Verwaltungsgericht die Nachwuchssorgen von Berufs- wie auch ehrenamtlichen Richtern. 198 ehrenamtliche Richter stärken die 20 Kammervorsitzenden und 56 weitere Berufsrichter, die als Berichterstatter den jeweiligen Sachverhalt darlegen. Im Verwaltungsgericht besteht eine Kammer aus drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern. Die Zahl der ehrenamtlichen Richter nahm um 18 Personen ab. Es wird immer schwieriger, die erforderliche Personenzahl zu halten. So gelang es bei den letzten Wahlen nicht mehr, die vorgeschriebene doppelte Besetzung zu erreichen.
Juristisches Fachwissen wird nicht verlangt
Als Schöffen für ein ehrenamtliches Richteramt an Amtsgerichten können sich Personen zwischen 25 und 69 Jahren bewerben. Juristisches Fachwissen wird nicht verlangt. Vorausgesetzt wird aber ein hohes Maß an Unparteilichkeit, Selbstständigkeit und Reife des Urteils. Nicht gewählt werden können Bewerber, die zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten verurteilt worden sind oder mangelhafte Deutschkenntnisse besitzen.
>>> Weitere Info bei: Ulrike Rostek, Telefon 0209 169-9368, oder Norman Bork, 0209 169-2094.