Gelsenkirchen. . In 22 Jahren hat es die Stadt nicht geschafft, das Sortiment auf dem Markt zu beschränken. Die aktuellen Verträge regeln das Warenangebot nicht.
Er ist ein politischer Dauerbrenner: der Flohmarkt an der Veltins-Arena. Seit über 20 Jahren beschäftigt er die Stadtverordneten und erhitzt die Gemüter. Der größte Vorwurf lautet: Dort werden zu viele Neuwaren und Lebensmittel verkauft; damit stellt der Markt eine Konkurrenz zur Innenstadt dar.
Ordentlich Front gegen den Trödelmarkt macht zurzeit vor allem einer: Ali-Riza Akyol. Dem Ratsherrn von WIN ist der Markt ein Dorn im Auge. Mindestens zweimal habe die Stadt die Chance verstreichen lassen, das Sortiment zu beschränken. Akyol erinnert an eine Mitteilungsvorlage, die 1995 dem Rat vorlag. Darin wurde ein Forderungskatalog aufgestellt, der die Reduzierung des Neuwarenanteils auf zehn Prozent sowie einen stark eingeschränkten Lebensmittelverkauf vorsah. Geschehen ist bis heute nichts. Warum?
Niemand sieht sich derzeit im Stande, diese Frage zu beantworten. Klar ist: Die Stadt betreibt den Trödelmarkt nicht selbst. Das macht die Kupfer & Seidl Veranstaltungen GbR. Dazwischen hängen zum einen der FC Schalke 04, der die betreffende Fläche zwischen Arena und Willy-Brandt-Allee 2001 von der Stadt gepachtet hat. Dazwischen hängt auch Walter H. Jann, früher einmal Betreiber eines Autokinos am selben Standort. Er ist Mieter der Fläche; Kupfer & Seidl wiederum also seine Untermieter. Allein dieses Konstrukt klingt ein wenig verworren.
Vertrag zwischen der Stadt und Schalke bis 2031
Was dennoch bleibt: Die Stadt ist Eigentümerin der Fläche. Und sie könnte somit Einfluss nehmen auf das, was dort verkauft wird – was sie ja aufgrund der erwähnten Mitteilungsvorlage offenbar auch vorhatte. Zitat: „Die Verwaltung wird künftig den (...) Forderungskatalog (...) in die mit Betreibern von Trödelmärkten abzuschließenden Verträge aufnehmen.“ Aber: Dieser Forderungskatalog ist weder Bestandteil des 2001 geschlossenen Vertrages zwischen der Stadt und Schalke (dieser gilt bis 2031), noch zwischen Jann und dem Veranstalter Kupfer & Seidl, der 2016 um zehn Jahre verlängert wurde.
In einer schriftlichen Erklärung des Stadtrats Christopher Schmitt, die als nicht-öffentliche Mitteilungsvorlage heute Thema im Wirtschaftsausschuss sein wird und der WAZ vorliegt, ist der Ansatz einer Erklärung zu lesen: „Der Forderungskatalog (...) ist nicht wirksam vertraglich vereinbart worden.“ Genau davon, so Schmitt weiter, sei die Verwaltung aber offenbar ausgegangen: „Dies erklärt auch, warum bei der Übertragung der Nutzungsrechte auf Schalke 04 und bei anderen Gelegenheiten nicht der Versuch unternommen wurde, den Forderungskatalog zum Vertragsgegenstand zu machen.“
Ali-Riza Akyol will sich mit solchen Erklärungen nicht abspeisen lassen. Nach Einsicht in die Akten von damals ist er sich sicher: „Die Verwaltung lügt!“ Aus welchem Interesse heraus sie das tun sollte, sagt er nicht. Dafür aber, dass Peter Tertocha (Grüne) das nach seiner Akteneinsicht genauso sehe. Auf WAZ-Nachfrage bestätigt Tertocha dies nicht. „Ich finde das aber alles sehr nebulös.“ Auch für ihn bleibt die Frage, warum es die Verwaltung in über 22 Jahren nicht geschafft hat, den Forderungskatalog in die Tat umzusetzen. Sein Wunsch ist nun, das schnellstmöglich zu tun.
Den Wirtschaftsausschuss beschäftigt das Thema
Das sieht die CDU genauso. „Donnerstag ist es Thema im Ausschuss, ab Samstag sollte es bestenfalls schon gelten“, sagt der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Heinberg. Für ihn ist der Markt in seiner jetzigen Form „ein Einzelhandelsstandort“. Sonst würde überall darauf geachtet, dass das städtische Einzelhandelskonzept eingehalten würde – „dort nicht“. Ihn störe es, dass dort Lebensmittel verkauft werden. „Da gibt es palettenweise Joghurt, bei dem ich nicht weiß, ob die Kühlkette eingehalten wurde.“ Entsprechende Kontrollen seien auf dem Markt viel lascher als etwa in Supermärkten. Deshalb fordert auch Fraktionsgeschäftsführer Sascha Kurth: „Wir wollen jetzt eine Lösung!“ Die Stadt müsse nachverhandeln, so Heinberg. „Wenn sich jetzt nichts ändern lässt, erwarten wir engmaschige Kontrollen.“
Ob sich was ändern lässt, wird der Wirtschaftsausschuss heute versuchen zu erörtern. Laut Tagesordnung im nicht-öffentlichen Teil.
Akyol weist Vorwürfe einiger Händler zurück
Dass die derzeitige Debatte beim Veranstalter des Trödelmarkts keine Begeisterung auslöst, ist klar. Massiver Ärger macht sich aber vor allem unter den Händlern breit. Einige werfen dem Stadtverordneten Ali-Riza Akyol vor, den Flohmarkt aus eigenem Interesse heraus zu attackieren. Einer von ihnen, ein Stoffhändler, sagt: „Herr Akyol war mit seinem Zwillingsbruder 15 Jahre lang selbst Händler auf dem Markt. Irgendwann haben sie sich darauf spezialisiert, in den Bereich Import/Export zu wechseln und begannen, die Händler mit billigen Posten aus China und der Türkei zu beliefern.“ Damit hätten sie sich „eine goldene Nase“ verdient. Vor zwei Jahren hätten die Akyols dann Konkurrenz bekommen von einer anderen Firma, die ihnen anscheinend mehr und mehr das Wasser abgrub.
Mit dem Handel eine „goldene Nase verdient“
Unabhängig davon erzählt ein anderer Händler diese Geschichte sehr ähnlich und ergänzt: „Die Akyols haben auf dem Markt immer wieder Werbung gemacht für ihr Geschäft an der Daimlerstraße.“ Vor allem sei dies mit unzähligen Flyern an den Scheiben parkender Autos geschehen. „Sie haben uns etwas für 10 Euro verkauft. Wir haben es für 15 Euro angeboten. Und die rennen dann herum und sagen, dass es das in ihrem Geschäft für 12 Euro gibt.“
Die Politik Ali-Riza Akyols löst bei den Händlern auch Unverständnis aus. „Herr Akyol verdankt seine Wahl vor allem den Türken. Und jetzt schießt er gegen die, die mit diesem Markt ihren Lebensunterhalt verdienen!“
Ali-Riza Akyol weist die Vorwürfe scharf zurück: „Ich habe mit dem Flohmarkt nichts am Hut.“ Er selbst habe mit dem Markt nie Geld verdient – wohl aber Mitglieder seiner Familie, das räumt er ein: „Insofern ist das Gegenteil des Vorwurfs richtig. Meine Familie würde einen wirtschaftlichen Nachteil erleiden, wenn der Markt geschlossen würde.“ Sein politisches Amt für private Zwecke zu nutzen, „wäre unredlich. Es ist auch unredlich, mir das zu unterstellen.“
Verkehrssituation erfordert für CDU Handlungsbedarf
Ein Dorn im Auge ist der CDU auch die Verkehrssituation an der Kreuzung Kurt-Schumacher-Straße/Willy-Brandt-Allee.
Fakt ist: Jeden Samstag kommen Tausende Besucher mit der Straßenbahn zum Flohmarkt. Sie strömen pulkweise und ohn eRücksicht auf den Verkehr oder rote Ampeln von der Haltestelle quer über die Straße zum Gelände – und später wieder zurück.
Wolfgang Heinberg sagt: „Die Straßenverkehrsordnung gilt dort nur rudimentär. Wenn es einen Beweis für den lieben Gott gibt, dann den, dass dort noch nicht mehr passiert ist.“
Er fordert: „Da muss die Stadt auf den Veranstalter einwirken und ihn an seine Fürsorgepflicht erinnern.“ Bei anderen Großveranstaltungen in der Stadt würde das ja auch so geschehen.