Gelsenkirchen. . Im WAZ-Interview erklärt der Diplom-Psychologe Dietmar Langer, warum es wichtig ist, nicht immer alle Wünsche von Kindern zu erfüllen.

Dietmar Langer ist Diplom-Psychologe an der Kinder- und Jugendklinik am Bergmannsheil und als Experte rund um Kindererziehung sehr gefragt bei Krankenkassen, Kindergärten und im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. In der Klinik steht er für einen ganzheitlichen Ansatz in der Behandlung, er hat ein vielgenutztes Konzept für einen Elternführerschein entwickelt. Wir sprachen mit ihm über den Umgang mit Wunschzetteln.

Herr Langer, die Wunschzettel von Kindern und Heranwachsenden sind immer üppiger geworden. Playstation, Smartphone oder Tablet haben das Gesellschaftsspiel und die Süßigkeitentüte abgelöst. Sollten Eltern solche digitalen Wünsche erfüllen, wenn es ihnen finanziell möglich ist?

Das kommt darauf an. Es muss altersangemessen sein. Vor der Grundschule finde ich Spielzeug zum Anfassen, Bewegungs- und Familienspiele sinnvoller für Kinder.

Alle digitalen Medien sind stressogen

Und ab wann darf es ein Handy, PC oder eine Spielkonsole sein?

Spielkonsolen könnten ab der Grundschule interessant sein, PC-Spiele wie Löwenzahn, die Sendung mit der Maus oder Findus sind spannend und lehrreich. Wichtig ist, dass das digitale nicht das einzige Geschenk ist, dass es auch etwas gibt wie ein Buch oder Gesellschaftsspiel. Damit man in der Familie auch miteinander etwas macht, die Fähigkeiten der Kinder in vielfältiger Weise unterstützt, z.B. durch Lesen oder Vorlesen. Vom PC lernen Kinder kein gutes Deutsch.

Was ist schlimm an gewaltfreien digitalen Spielen?

Kinderpsychologe Dietmar Langer von der Kinder- und Jugendklinik am Bergmannsheil warnt vor der Sogwirkung digitaler Medien, die Kinder und Jugendliche nicht beherrschen können.
Kinderpsychologe Dietmar Langer von der Kinder- und Jugendklinik am Bergmannsheil warnt vor der Sogwirkung digitaler Medien, die Kinder und Jugendliche nicht beherrschen können. © Joachim Kleine-Büning

Man muss immer bedenken: Alle digitalen Medien sind stressogen, das heißt, sie erzeugen innere Stressreaktionen, unabhängig vom Inhalt. Das liegt an der Art des Mediums, es ist so schnell, so vielfältig, so voller Informationen. Das entwickelt eine so starke Sogwirkung, das können Kinder nicht beherrschen – und zwar auch durch die Pubertät hindurch nicht. Deshalb ist es wichtig, digitale Nutzung altersgerecht zeitlich zu begrenzen.

Gibt es denn empfehlenswerte digitale Spiele?

Ja, zum Beispiel Spiele, die man gemeinsam machen kann. Mit direkter Interaktion, wie etwa diese Wii-Spiele.

Wieviel digitaler Konsum ist für welche Altersgruppe denn angemessen?

Wie gesagt, erst ab der Grundschule überhaupt. In den ersten beiden Klassen eine halbe Stunde täglich, danach bis zu einer Stunde. Ab der weiterführenden Schule kann ein Smartphone interessant sein. Aber auch bei Jugendlichen ist es wichtig, dass das Smartphone mindestens nachmittags für eine oder besser zwei Stunden abgegeben wird und abends sowieso. Ich finde auch die Handlung wichtig: Ich gebe es ab, als Ritual. Ich halte das Smartphone für das schwierigste Medium, weil es immer nutzbar ist, keine Abgrenzung mehr gibt.

Der Wunschzettel ist ein Rahmen, eine Auswahl

Warum sind Einschränkungen beim digitalen Medienkonsum so wichtig?

Es geht um Selbstregulation. Kinder müssen lernen, mit Grenzen umzugehen. Viele Kinder können das nicht mehr, kennen keine Grenzen. Und sie können sich nicht mehr konzentrieren, wenn sie zuviel mit digitalen Medien befasst sind.

Was können Eltern tun, um die Enttäuschung der Kinder zu lindern, wenn sie nicht bekommen, was sonst ALLE haben, wie ja das Standardargument des Nachwuchses lautet?

Erstens sind Wunschzettel keine Bestellzettel. Es geht nicht um Geschäfte, sondern schenken und beschenkt werden. Das ist der Zauber der Weihnacht. Und Kinder müssen lernen, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Sie müssen lernen, dass man nur bekommen kann, was man sich leisten kann. Die Tendenz, dass schon Jugendliche sich verschulden, weil sie dies nicht gelernt haben, hat leider zugenommen. Deswegen sollte klar sein: Der Wunschzettel ist ein Rahmen, eine Auswahl. Und darauf sollte außerdem auch etwas stehen, was mit gemeinsamen Aktivitäten der Familie zu tun hat. Ein Ausflug oder so.

Wer alles bekommt, kann nichts mehr wertschätzen

Nun eine Frage zu „Luxusproblemen“. Wie sollen wohlhabende Familien mit der Erfüllung der Wünsche umgehen? Wenn man sich finanziell eigentlich leisten kann, alle Wünsche zu erfüllen?

Es geht um wertschätzen. Ich kann eine Sache wertschätzen, wenn sie kostbar und wertvoll ist. Wenn ich alles bekomme, was ich will, kann ich einzelne Sachen nicht mehr wertschätzen. Ich kann auch andere Menschen nicht mehr verstehen in ihrer Lebensform, ihre Sorgen und Einstellungen. Kann dann nicht mehr mit ihnen kommunizieren. Eltern haben ja auch Verantwortung dafür, dass ihre Kinder sich in der Welt zurecht finden, mit anderen kommunizieren können. Dass Kinder günstige Strategien für das Leben lernen. Es gibt genug Beispiele dafür, dass Kinder, die nie adäquate Grenzen erfahren haben, später im Leben nicht gut zurechtkommen.

Wie wichtig ist es, dass die Kinder auch ihren Eltern etwas zum Fest schenken?

Das ist schon wichtig. Es muss ja nichts Teures sein. Es geht darum, sich Gedanken zu machen, worüber der andere sich freut und dessen Freude mit zu erleben.

Helfen Strategien für das Leben zu entwickeln

Wie wichtig ist es, ein gutes Vorbild zu sein?

Das ist einer der drei wesentlichen Punkte bei der Erziehung. Der erste ist, den Kindern Erfahrungen zu ermöglichen, sie Strategien entwickeln zu lassen, um gut durch das Leben zu kommen. Und sie ruhig auch mal kontrolliert auf die Nase fallen zu lassen. Der zweite Punkt ist natürlich Zuwendung, gemeinsam verbrachte Zeit. Und Vorbild sein ist der dritte Aspekt. Wenn ich meiner Tochter sage, räum’ dein Zimmer auf und sie sagt, guck dir erst mal dein Arbeitszimmer an, dann hab ich schlechte Karten. Gleiches gilt für Verabredungen. Die müssen beide einhalten.

Jenseits vom pädagogischen Wert digitaler Spielzeuge: Was empfehlen Sie Eltern von Jugendlichen 14 plus, die einen PC oder Smartphone gut gebrauchen könnten, denen jedoch das Geld dafür fehlt?

Für den Anfang könnte man doch auf gebrauchte Geräte, ältere Modelle zurückgreifen. Oder in der gesamten Familie dafür sammeln. Oder darauf sparen, das Jahr über schon etwas zurück legen. Wichtig ist immer, den Rahmen schon vor dem Fest abzuklären.

Zweistündige TV-Dokumentation über die Klinikarbeit

>> Dietmar Langer ist leitender Therapeut in der Abteilung der Kinder- und Jugendklinik, die auch Verhaltensauffälligkeiten gemeinsam mit Eltern therapiert.

>> Diese Arbeit hat der Bayrische Rundfunk über Monate begleitet. Die zweistündige Doku ist ab Frühjahr 2018 im TV, aber auch auf DVD und im Kino zu sehen.