Altstadt. Nilufar Hainbach (57) ist eigentlich EDV-Expertin. Im Interview erzählt sie, warum sie heute Flüchtlinge in Gelsenkirchen betreut.
- Als 17-Jährige aus Teheran zum Informatikstudium nach Deutschland zur Schwester gekommen
- Einzige Übersetzerin für Farsi in Gelsenkirchen betreut im Schnitt etwa 100 Iraner und Afghanen
- Offizielle Briefe machen Flüchtlingen Angst, weil sie immer Schlimmes von ihnen befürchten
. Die gebürtige Iranerin Nilufar Hainbach (57) ist die diesjährige Preisträgerin der „Migradonna“. WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies sprach mit der EDV-Expertin über ihre Arbeit und ihre eigene Geschichte.
Frau Hainbach, haben Sie mit dem Preis gerechnet?
Nilufar Hainbach: Nein, überhaupt nicht. Ich wusste zwar, dass ich nominiert bin wie andere auch, aber ich bin vor allem hingegangen, um die anderen nominierten Frauen kennenzulernen. Als die Bürgermeisterin anfing und sagte, dass die Preisträgerin 1960 geboren wurde, ahnte ich etwas. Und war dann sehr nervös, weil ich ja etwas sagen musste. Ich hab mich dann nur bedankt. Eigentlich genügt mir ja schon der Dank von den Flüchtlingen. Man bekommt von ihnen so viel zurück.
Wie kamen Sie zur Arbeit mit Flüchtlingen?
2015 sprach mich eine deutsche Freundin an, dass ich ja jetzt wohl für die Stadt arbeiten würde, weil die doch händeringend Übersetzer für Farsi (Persisch, die Red.) suchten. Ich wusste gar nicht, dass unter den Flüchtlingen auch Iraner und Afghanen sind. Im Januar bekam ich einen Anruf, ob ich diese Flüchtlinge in den Heimen an der Sutumerfeldstraße und an der Westerholter Straße betreuen könnte. Ich habe ja gesagt und angefangen. Dann kam das Angebot des Paritätischen, zehn Stunden in der Woche für ihn zu arbeiten und Flüchtlinge zu beraten und zu betreuen. Das hab ich gern übernommen.
Sind Sie gelernte Übersetzerin?
Nein. Ich habe Sozialwissenschaften und Biologie bis zum Vordiplom studiert. Dann habe ich mich zur EDV-Kauffrau ausbilden lassen, als solche auch lange für eine Firma in Buer gearbeitet, wo ich mich hochgearbeitet hatte. Eigentlich wollte ich Informatik studieren. Das war im Iran trotz meines Einser-Abiturs nicht möglich. Deshalb wollte ich in den USA studieren. Da ich erst 17 war, hat mein Vater mir nahegelegt, nach Deutschland zu gehen, wo meine Schwester war. Eigentlich wollte ich hier nicht hin, es war mir zu kalt und ich konnte kein Wort Deutsch. Dann stellte sich auch noch heraus, dass ich hier ein mathematisches Abitur statt meines naturwissenschaftlichen gebraucht hätte, um Informatik studieren zu dürfen. Die USA kamen nach dem Putsch im Iran und der Geiselnahme an der US-Botschaft in Teheran 1979 ohnehin nicht mehr in Frage. So kam es zu den anderen Studien und dem Umweg zur EDV-Kauffrau.
Frieren Sie immer noch?
Nein, ich finde es gar nicht mehr so kalt hier. Ich habe hier meinen Mann kennengelernt – daher der deutsche Familienname – und 1995 meine Tochter bekommen. Von meinem Mann bin ich aber schon lange geschieden. Ich fahre alle zwei Jahre in den Iran, um meine Eltern zu besuchen. Zurückkehren werde ich jedoch wohl nicht mehr. Ich war aber mittlerweile auch mal im Urlaub in den USA und habe dabei festgestellt, dass es ein gutes Land für einen Urlaub ist. Aber nicht zum Leben.
Ihr Geburtsname ist Saidizand. Hat er eine Bedeutung?
Der eigentliche Name ist Zand, das war eine königliche Familie vor etwa 250 Jahren. So wie die späteren Pahlavis, die den Schah stellten.
Warum haben Sie den Namen Hainbach behalten?
Wegen meiner Tochter. Sie sollte nicht diskriminert werden, weil sie einen anderen Namen trägt als ihre Mutter. Es war schon schwer genug als alleinerziehende, berufstätige Ausländerin. Mein Mann ist ausgezogen, als unsere Tochter sieben Monate alt war. Da musste ich wieder arbeiten gehen, obwohl ich eigentlich drei Jahre zuhause bleiben wollte. Die Zeit mit meiner Tochter ist wie im Flug vergangen, mit Schule, Ballett, Tanz und Klavierunterricht. Sie hat ein sehr gutes Abitur gemacht, war Jahrgangsbeste im Bachelorstudium in Wirtschaftswissenschaften und macht jetzt den Master in Berlin.
Zu ihrer Arbeit mit den Flüchtlingen: Was sind das für Menschen, die sie da betreuen?
Sehr viele von den Iranern sind junge Männer, zwischen 20 und 30 Jahren. Die meisten sind Christen, die im Iran wegen ihrer Religion verfolgt werden. Manche flüchten auch wegen ihrer sexuellen Orientierung. Bei den Flüchtlingen aus Afghanistan ist das anders: dort herrschen kriegsähnliche Zustände. Ihre Sprache ist Farsi, das spricht hier kaum jemand. Auch wenn die Flüchtlinge ein wenig Englisch verstehen, reicht das nicht für die vielen Formulare, die sie ausfüllen müssen. Unter den Flüchtlingen sind Analphabeten ebenso wie Hochschulabsolventen. Aber der Papierwust hier überrascht viele. Offizielle Briefe machen ihnen Angst, von ihnen befürchten sie immer Schlechtes.
Sie begleiten die Flüchtlinge zu Behörden?
Unter anderem. Ich war auch die ganze Nacht bei einer Geburt im Krankenhaus dabei, habe einen jungen Mann bei seiner Nabelbruch-Operation begleitet und ihm die Medikamente für danach besorgt. Alle haben meine Handynummer und Email-Adresse. Im Schnitt betreue ich 100 Menschen.
Wie sind deren Perspektiven?
Die meisten Iraner bekommen für drei Jahre den Aufenthaltsstatus. Bei den Afghanen werden 60 Prozent abgelehnt, aber viele klagen dann.
Bei so vielen privaten Kontakten: Wird das alles nicht manchmal zuviel?
Ja, ich muss schon ein wenig aufpassen. Ich hatte schon einmal einen Burnout im Beruf. Beim Paritätischen habe ich derzeit zwar nur einen Vertrag über zehn Stunden je Woche, tatsächlich arbeite ich jedoch noch etwa 30 Stunden ehrenamtlich. Ich freue mich sehr über die Anerkennung durch die Migradonna. Aber ich tue es vor allem, weil ich es gern mache. Neben meiner Arbeit werde ich auf jeden Fall mein ehrenamtliches Engagement weitermachen.