Gelsenkirchen. . Im SommerGEspräch mit der WAZ erklärt Ulrike Purz das Konzept ihrer Gesamtschule Buer-Mitte für die kommenden Herausforderungen.
- Digi-Team-Profil soll künftig in allen Jahrgängen der Gesamtschule Buer-Mitte umgesetzt werden
- Schulleiterin hofft auf konsequente Fortsetzung des Inklusionsprozesses mit mehr Personal
- Internationale Förderklassen sind in drei Gruppen, je nach Schrift- und Sprachkenntnis, eingeteilt
Diese Sommerschulferien sind besonders: An ihrem Ende starten die Schulen in Gelsenkirchen – wie in ganz Nordrhein-Westfalen – in ein Schuljahr voller neuer Herausforderungen. WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies sprach mit Ulrike Purz, der Leiterin der Gesamtschule Buer-Mitte, über die derzeitige Situation an Schulen. Das Interview fand in der ersten Ferienwoche statt.
WAZ: Sie freuen sich sicher auf ihren Urlaub, der ja mit einer Woche „Verspätung“ beginnt. Freuen Sie sich auch auf das kommende Schuljahr?
Ulrike Purz: Ja! Wir haben für unsere Schule ein neues Profil erarbeitet: Lehren und Lernen in der digitalen Welt. Das Konzept steht, das Entwicklungsteam schult bereits die eigenen Kollegen. Wir wollen unsere Schüler kompetent machen für das Leben in unserer digitalisierten Welt. Wir denken das vom Schüler aus. Unsere Schüler befassen sich nicht mit Inklusion oder Ifö-Klassen, sie befassen sich mit digitalen Endgeräten. Statt neue Medien zu verteufeln, wollen wir Ihnen einen kompetenten Umgang damit vermitteln, damit sie die digitale Welt als reale Welt erfahren und auch als Lernort. Dabei wollen wir anschlussfähig sein an Schüler, um ihnen zeigen zu können, wie digitale Werkzeuge gut genutzt werden können und wo die analoge Welt bedeutsam bleibt, wie in der digitalen Welt Macht funktioniert und wir alle in Verantwortung stehen. Die neue „Mehr-Klasse“ als Digi-Team-Klasse wird dieses Profil einführen, das wir nach und nach in allen Jahrgängen und Fächern umsetzen wollen. Ich habe ein gutes Team und ich freue mich auf diese neue Arbeit. Auch wenn uns wirklich große Herausforderungen erwarten.
WAZ: Was ist eine „Mehr-Klasse“?
Wir übernehmen Internationale Förderschüler (Ifö) des siebten Jahrgangs aus mehreren Schulen, die in Regelklassen wechseln und brauchen dafür eine zusätzliche Klasse. Wir haben dafür die digitale Profilklasse eingeführt und allen Siebtklässlern angeboten, dahin zu wechseln. Das Interesse war groß, es gab mehr Bewerber als Plätze. Die übrigen Ifö-Schüler sind auf die anderen Klassen verteilt.
Wieviele Internationale Förderklassen (Ifö) gibt es an ihrer Schule?
Acht derzeit. Wir haben sie aufgeteilt nach Alter und Kompetenz. Es gibt Klassen für jene, die noch nicht oder in einer anderen Schrift alphabetisiert sind, sowie Klassen für Alphabetisierte. Schüler mit guten Sprachkompetenzen nehmen zum Teil auch schon am Regelunterricht teil, für einen schrittweisen Übergang.
Wann steht bei Ihnen der große Übergang der Ifö-Schüler in Regelklassen an?
Wir haben zwischen Januar und Ostern 2016 sechs Ifö-Klassen eingerichtet, nach Zuweisung, wobei manche Schüler auch schon von anderen Schulen kamen. Da der Schulträger wünscht, Übergänge nur zum Schuljahreswechsel zu vollziehen, steht es im Sommer 2018 an.
Fühlen Sie sich darauf gut vorbereitet und vom Land gut unterstützt?
Wir haben ein eigenes Team für die Ifö-Klassen, das ein eigenes Konzept für die Ifö-Schüler entwickelt hat. Der Übergang in Regelklassen muss jetzt schon vorbereitet werden, von den Schulen und vom Land. Ich finde eine Verteilung auf möglichst viele Schulen besser als die Konzentration auf wenige, der Integration zuliebe. Aber im gegliederten System ist das natürlich schwierig.
Und wie sieht es mit dem Gemeinsamen Lernen aus? War die Inklusion seitens des Landes gut vorbereitet?
(atmet tief durch): Bis jetzt eigentlich schon, abgesehen davon, dass man es versäumt hat, rechtzeitig mehr Ausbildungsplätze für Sonderpädagogen zur Verfügung zu stellen. Gute Inklusion braucht Personal, das zum Teil fehlt. Wir haben je Jahrgang eine Klasse mit Gemeinsamem Lernen, bis rauf in den achten Jahrgang. Aber wenn die Förderschulen jetzt weiterlaufen sollen, wie vom Land angekündigt, und zwar auch unterhalb der Mindestgröße, werden noch mehr Sonderpädagogen fehlen.
Apropos: Sind alle Lehrerstellen an Ihrer Schule besetzt?
Alle Stellen für festangestellte Lehrer sind besetzt; wir haben 137 pädagogische Kräfte. Wir sind attraktiv für Bewerber. Unbesetzte Stellen gibt es bei uns nicht mehr seitdem auch die Vertretungen für Erziehungsurlaub besetzt sind.
Nehmen Sie Schulformwechsler auf, also Kinder, die nach der Erprobungsstufe von Gymnasium oder Realschule abgehen müssen?
In diesem Jahr leider nicht. Wir haben immer gerne Schulwechsler bei uns aufgenommen, weil wir sie mit unserem Fördersystem gut motivieren und ihnen wieder zu Selbstbewusstsein verhelfen können. Aber in diesem Jahr sind wir einfach voll mit unseren 1515 Schülern.
Frau Purz, wenn Sie drei Wünsche für Ihre Schule frei hätten, was würden Sie sich wünschen?
Mehr festangestellte Sonderpädagogen. Bislang haben wir zwei bei uns verankerte Sonderpädagogen und drei Abgeordnete von anderen Schulen, jeweils mit einer halben Stelle. Sie arbeiten sehr gut. Optimal wäre aber, stets ein festes Team vor Ort zu haben, das auch das gesamte Kollegium kontinuierlicher unterstützen kann. Der zweite Wunsch wäre die Abschaffung der Obergrenze von 44 Prozent für die Anstellung von Lehrkräften der Sekundarstufe II. Diese Grenze gibt es meines Wissens an Gymnasien nicht. Und es gibt viele gute Sek.-II-Lehrer – die wir nicht einstellen können. Zudem wünsche ich mir, dass der Prozess der Inklusion nicht gebremst, sondern mit mehr Personal und konsequent fortgesetzt wird. Inklusion ist ein wichtiges, gesellschaftliches Thema, das nur gelingen kann, wenn es konsequent umgesetzt wird.
Bereitet Ihnen als Gesamtschule Sorge, dass Gymnasien jetzt wieder regulär G9 anbieten können?
Jein. Genug Anmeldungen werden wir auch weiterhin haben, Gesamtschulen in Gelsenkirchen müssen ja in jedem Jahr über 300 Kinder abweisen. Aber es könnte der Durchmischung schaden, wenn etwa Kinder mit eingeschränkter Gymnasialempfehlung ans Gymnasium gehen statt zu uns. Aber nach der Erprobungsstufe oder Jahrgangsstufe acht wird abgeschult, und wer da nicht mitkommt. . .
Wie nah sind Sie und ihr Kollegium an der Grenze des Machbaren?
Wir geraten wirklich häufig an unsere Grenzen. Ich bin einfach froh, dass bei uns das Team, das Miteinander so stimmig ist. Deshalb gibt es auch trotz Belastung und nicht wirklich jungem Kollegium so wenige Krankheitsausfälle.
Frau Purz, vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen schöne Ferien, gute Erholung – und viel Energie für die kommenden Herausforderungen.