Gelsenkirchen. . Prof. Hasenkox, Geschäftsführer von Emschertainment und Dozent an der WH, wünscht sich, dass mehr Studierende GE zum Lebensmittelpunkt machen.
- Auftakt zur WAZ-Serie „SommerGEspräche“ mit Prof. Helmut Hasenkox
- Er wünscht sich ein ausgeprägteres Studentenleben in Gelsenkirchen
- Dafür müssten mehr Studierende in Lebensmittelpunkt nach GE verlagern
Ende Juni moderierte Prof. Helmut Hasenkox den Festakt zum 25-jährigen Bestehen der Westfälischen Hochschule. „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte,“, sagte er an jenem Abend, „dann wäre das, dass die Studenten Gelsenkirchen zu ihrem Lebensmittelpunkt machen.“ In Gelsenkirchen gebe es nämlich zu wenig Studentenleben. Im Interview mit WAZ-Redaktionsleiter Steffen Gaux erklärt der Geschäftsführer von Emschertainment seinen Wunsch.
Herr Professor Hasenkox, warum gibt es in Gelsenkirchen kein Studentenleben?
Prof. Hasenkox: Eine Bemerkung vorweg: Ich glaube, dass ich in meiner Situation, in der ich bin – also quasi als Grenzgänger zwischen beiden Lagern, zwischen der Stadt Gelsenkirchen auf der einen und der Hochschule auf der anderen Seite – dieses Defizit aus beiden Blickwinkeln kenne. Dass es hier kein Studentenleben gibt, ist eine Medaille mit, ich sag’ mal, drei Seiten: Die eine ist die Stadt, die andere die Hochschule und die dritte – die darf man nicht vergessen – sind die Studenten selbst. Denn da haben wir zum Beispiel diesen klassischen Pendler, der parkt hier morgens sein Auto, geht studieren und fährt wieder nach Hause – schlimmstenfalls zu seinen Eltern. Ich erlebe immer häufiger, dass die Studenten das gar nicht schlimm finden. Die wohnen gerne bei Mutter und Vater.
Täuscht der Eindruck, dass dies in Gelsenkirchen vermehrt so ist?
Ich glaube nicht, dass das an anderen Hochschulen seltener vorkommt. Nur wenn in Bochum von 50 000 Studenten 40 000 pendeln, bleiben immer noch 10 000 übrig. Die sind immer noch sehr dominant im Stadtbild. Wenn in Gelsenkirchen von 5000 Studenten 4500 pendeln: Von den 500 sieht man nichts mehr, die gehen im Stadtbild quasi unter. Deswegen müsste man sich hier mehr als woanders darum kümmern. Denn das ist mir ganz wichtig: Dem Gelsenkirchener Stadtbild, dem Bueraner Stadtbild, dem täten ein paar Studenten sehr gut. Und gerade wenn man an dieses Herkules-Projekt Ückendorf denkt, wenn wir da wirklich ein Kreativquartier machen wollen, werden wir da Studenten brauchen. Denn was ist das für ein Kreativquartier, wenn da keine Studenten wohnen.
Verpassen Studenten von heute ihr Studentenleben?
Ja. Aber die Bachelor/Master-Studiengänge spielen da eine Rolle bei. Diese Studiengänge sind so verschult und so klar getaktet, dass viele Studenten eh keine Zeit haben. Viele arbeiten ja auch noch. Dann sind die natürlich froh, wenn die von Mutti einen Teller mit Essen hingestellt bekommen. Ich mache denen das häufig zum Vorwurf, weil ich das traurig finde. Die befinden sich in einer Situation, die nie mehr wiederkommt. Denen stehen alle Wege offen. Aber genau das empfinden sie nicht als Freiheit, sondern als Druck. Bei mir sitzen 25-jährige Mädchen in der Sprechstunde und heulen, weil sie noch keinen Bachelor haben. Da frage ich: Was hast du für ein Problem? Ich habe mit 21 Abitur gemacht.
Zurück zu Ihrer dreiseitigen Medaille. Schauen wir auf die Hochschule. Was macht die falsch?
Bei der Hochschule vermisse ich, das Engagement, den eigenen Standort attraktiver zu machen. Zum Beispiel mal darauf hinzuweisen, welche Möglichkeiten mit dem Ruhrgebiet einhergehen, die man auch nur wahrnehmen kann, wenn man hier lebt.
Stichwort Standort: Liegt es vielleicht auch an dem? Ist er mal falsch gewählt worden?
Ja, auf jeden Fall. Jeder andere Standort in der Stadt wäre besser gewesen. Da oben, am letzten Ende Gelsenkirchens, ist das eine sehr schwierige Situation.
Ist das denn in Stein gemeißelt oder ist das ein Fehler, den man korrigieren kann, vielleicht sogar korrigieren sollte?
Ich denke, das ist jetzt spätestens mit der baulichen Situation in Stein gemeißelt. Wenn da jetzt auch noch die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung gebaut wird, dann wird das nie mehr geändert werden. Aber fahren Sie mal mit dem Bus vom Busbahnhof Buer zur Hochschule. Da sind Sie zu Fuß schneller, weil der Bus erstmal eine Weltreise macht. Das heißt: Die Gesamtstruktur ist überhaupt nicht drauf angelegt.
Dann sind wir bei der Stadt. Welche Rolle spielt sie?
Der Vergleich ist jetzt nicht ganz fair: Aber wenn man sich zum Beispiel Bocholt anschaut, da gucke ich sehr neidisch hin, weil die Bocholter ihre Hochschule lieben. Ob das jetzt der Bürger ist, die Wirtschaft oder die Stadtverwaltung. Die wollen sogar ihre Ortseingangsschilder ändern in „Hochschulstandort Bocholt“.
Warum ist das in Gelsenkirchen anders?
Das ist ein ganz langer, zäher Prozess. Den muss man intensiver annehmen. Da gibt es nämlich auch große Chancen. Zum Beispiel Ückendorf. Ich sehe darin eine wesentliche Chance, dass man dort die Dinge zusammenbringt. Das einzige Problem ist wieder der Standort der Hochschule. Wer mit der Straßenbahn von Ückendorf an die Neidenburger Straße will, der sollte sich an dem Tag nichts anderes mehr vornehmen. Also: Hochschulangebote am Standort Ückendorf müssten sehr autark sein, möglichst mit wenig Pendelei verbunden. Sonst wird es nicht funktionieren. Und Bocholt ist eben ein Beispiel, wie es funktionieren kann.
Gibt es in Bocholt Studentenleben?
Ja, ein sehr kleines. Bocholt ist für mich so ein Mini-Münster. Wobei: Solche studentischen Biotope wie Münster, Marburg oder Göttingen mag ich überhaupt nicht. In Münster könnte man den Eindruck bekommen, dass wenn die Studenten weg wären, es nur noch eine Kulisse für den „Tatort“ ist, aber mehr auch nicht. Bochum ist ein gutes Beispiel, wo es sich gut durchmischt.
Was kann die Stadt tun?
Sie könnte offensiver herangehen, studentischen Wohnraum attraktiv zu machen. Es ist nämlich mittlerweile schwer, im Ruhrgebiet günstigen studentischen Wohnraum zu bekommen.
Aber günstige Wohnungen sind nicht alles. Das Umfeld muss auch stimmen. Es sollten in der Nähe vielleicht keine altengerechten Wohnungen sein, wo die Bewohner um 22 Uhr die Polizei rufen, wenn’s mal etwas lauter wird.
Das ist die eine Sache. Und die andere: Man sollte auch, ohne dass man eine Kampfausbildung hat, abends aus dem Haus gehen können. Das mit den altengerechten Wohnungen ist eher in den zentralen Lagen das Problem, da wo viele Kneipen sind. Das ist auch so eine Sache: die Kneipenszene in Gelsenkirchen. Da kann natürlich noch eine Menge passieren. Da sind andere Städte uns deutlich voraus.
Was kann man denn tun, um den Standort, der Luftlinie ja gar nicht so weit von der Innenstadt in Buer entfernt ist, besser anzubinden?
In Buer gibt es die räumliche Nähe, die man über den Nahverkehr in der Form erstmal herstellen müsste, dass man die räumliche Nähe auch als solche versteht. Ich glaube, dass das kurzfristig oder spätestens mittelfristig möglich wäre, da eine engere Verbindung herzustellen.
Wer ist da gefordert?
Die Hochschule und die Stadt. Je mehr die beiden sich miteinander verzahnen, je mehr die beiden miteinander reden, je mehr die beiden das auch als eine Aufgabe sehen und ein gemeinsames Bemühen entwickeln, desto eher entwickeln sich auch Strukturen.
Steckt dieses Bemühen noch in den Kinderschuhen?
Ja. Auch wenn diese Kinderschuhe mittlerweile auch schon ihr Alter haben. Da muss mehr passieren.
Dass die Schuhe schon älter sind, zeigt, dass die Debatte nicht erst seit gestern läuft. Warum kommt man nicht weiter?
Vielleicht, weil Stadt und Hochschule das lange Zeit nicht als Problem gesehen haben. Und dass sich der Oberbürgermeister von Gelsenkirchen von der Priorität her erstmal anderen Themen zuwendet, kann ich auch verstehen. Der hat natürlich ein paar Eisen im Feuer, die deutlich intensiver glühen.
Worüber wir hier reden, hat viel mit Politik zu tun. Wie politisch sind die Studenten heute eigentlich?
Ich erlebe die Studenten ganz anders als zu meiner Zeit, nämlich als weitgehend entpolitisiert. Früher gab es diese starken politischen Studentengruppen, es gab die ganze Umwelt-Szenerie, die Anti-Atomkraft-Bewegung. Das gibt es ja alles nicht mehr.
Warum?
Das frage ich mich auch oft. Die Welt ist politisch kein bisschen anders. Ich glaube fast, man erkennt daran, dass bei der politisierten Studenten-Szene der 70er- und 80er-Jahre sehr viel Mode im Spiel war. Es war auch schick, AKW-Gegner zu sein. Heute ist es in Mode sehr narzisstisch zu sein, dazu gehören auch die sozialen Netzwerke.
Früher war man also Gegner von Atomkraftwerken und heute postet man stattdessen Urlaubsbilder auf Instagram?
Ich fürchte ja.