Gelsenkirchen. Oliver Balke ist Förster im Industriewald Ruhrgebiet und lebt in der Forststation Rheinelbe in Gelsenkirchen. Ein außergewöhnliches Revier.

Oliver Balke ist Förster und hat eins der ungewöhnlichsten Reviere im Ruhrgebiet, den Industriewald. Wo zuvor Hochöfen, Zechen und Kokereien durch den Strukturwandel brachlagen, hat sich die Natur diese Gelände inzwischen zurückerobert – ebenfalls die Fläche Rheinelbe in Ückendorf.

Industriekunstwerk und Wegmarke: der Schieber von Herman Prigann.
Industriekunstwerk und Wegmarke: der Schieber von Herman Prigann. © Joachim Kleine-Büning

Dort steht auch die Forststation, in der der Revierförster Balke seit über zwei Jahrzehnten lebt, ein früheres Bergwerksschalthaus. „Für mich ist das privilegiertes Wohnen, ich lebe hier mitten im Grünen und immer noch in der Stadt.“ Dass andere Gelsenkirchener das als Einöde empfinden, kann er nicht so recht nachvollziehen. Für ihn ist der Industriewald ein Naturidyll, das er möglichst täglich genießt.

„Wir wollen Menschen anlocken“

Dass auch andere Menschen den Wald ebenso schätzen lernen wie Balke selbst, ist ihm ein großes Anliegen. Seit über 20 Jahren hat er sich schon diesem Ziel verschrieben. „Wir wollen die Menschen anlocken“, sagt der Förster und verweist auf die zahlreichen Industriekunstwerke im Skulpturenwald, die ebenfalls Publikum anziehen sollen und zugleich als Orientierungspunkte dienen.

Der Industriewald liegt wie ein Flickenteppich über dem Ruhrgebiet, nicht nur in Gelsenkirchen, auch in Bochum, Essen, Dortmund und vielen weiteren Revierstädten, insgesamt ist er über 200 Hektar groß. Für alle ist Oliver Balke zuständig, doch besonders gerne ist er in Ückendorf unterwegs, wo das Forstprojekt seinen Anfang nahm. „Dieser Wald ist wichtig für den Artenschutz, ein Naherholungsgebiet für die Menschen und ein Kaltluftkorridor für die Stadt“ sowie obendrein ein Landschaftsschutzgebiet.

Sandbirken sind die Pioniere im Wald. Abgebrochene Äste bleiben als Totholz liegen. Die Motorsäge kreist nur, wenn die Sicherheit der Besucher gefährdet ist.
Sandbirken sind die Pioniere im Wald. Abgebrochene Äste bleiben als Totholz liegen. Die Motorsäge kreist nur, wenn die Sicherheit der Besucher gefährdet ist. © Joachim Kleine-Büning

Doch damit sind für den Förster der fünften Generation noch längst nicht alle Vorteile seines Arbeitsplatzes erschöpft. Das Besondere: „Ich lege keinen Zollstock an und es gibt auch keine Parzellen. Ich greife nicht in die Natur ein.“ Also wachsen und wuchern die Pflanzen ungeplant und unbändig; gestürzte Bäume bleiben als Totholz liegen und Waldameisen erobern sich Baumstümpfe und errichten darin ihre Nester.

Forscher haben großes Interesse an dem Forstprojekt

Gerade Biologen freuen sich über die Pflanzen- und Tierwelt im Industriewald. So haben die geschützten Arten Hohltaube und Grünspecht dort eine neue Heimat gefunden, Füchse durchstreifen das Gebiet, und an den Tümpeln gibt es Frösche, Kröten, Molche, Fledermäuse und Libellen. Viele Forscher interessieren sich für das langjährige Forstprojekt, denn dass sich die Natur ein Gebiet von den Menschen zurückholt, ist sonst selten. So sind die ältesten Bäume auf dem Areal, die genügsamen Sandbirken, gut 45 Jahre alt. Außergewöhnlich ist, dass die Industrieanlagen in Etappen abgerissen wurden, teilweise schon vor dem Zweiten Weltkrieg. So sind unterschiedliche Naturentwicklungsstadien zu beobachten. „Wir wollen erfahren, wohin die Reise geht“, sagt Balke.

Das Wahrzeichen der Halde Rheinelbe, die zum Projektgebiet gehört: die Himmelstreppe, ebenfalls ein Kunstwerk von Herman Prigann.
Das Wahrzeichen der Halde Rheinelbe, die zum Projektgebiet gehört: die Himmelstreppe, ebenfalls ein Kunstwerk von Herman Prigann. © Hans Blossey

Völlig frei dürfen die Pflanzen aber trotzdem nicht wachsen. Wenn von einem Baumast ein Sicherheitsrisiko ausgeht,schmeißt der Förster die Motorsäge an und auch die Wanderwege pflegt er, „sonst würden sie bald aussehen wie bei Dornröschen“.

Stadtkinder erleben die Natur

Am meisten freuen er und Hündin Ayka, die stets an seiner Seite ist, sich aber auf Besucher, auf Jogger, Hundehalter, Spaziergänger oder Beerensammler. „Kindern tut es wahnsinnig gut, in den Wald zu gehen. Wir wollen Stadtkinder dazu kriegen, öfter herzukommen. Das ist echte Nachhaltigkeit.“

Bei den Kindern von der benachbarten Kita Leithestraße hat er das schon geschafft. Wenn sie Oliver Balke in seiner grünen Uniform mit Gefährtin Ayka im Industriewald treffen, rufen sie laut seinen Namen und freuen sich schon auf neue Abenteuer im Wald.