Gelsenkirchen. . Im Kinder- und Jugendhaus St. Elisabeth in Erle planen die Bewohner ihre Zukunft im Haus selbst mit. Wie gelebte Demokratie aussehen kann.

  • Seit acht Jahren arbeitet das Kinder- und Jugendparlament im Heim, um Bewohnerwünsche umzusetzen
  • Themen sind Smartphonenutzung, Internetzugang, Freizeitmöglichkeiten und Weihnachten mit der Familie
  • Volljährige müssen zwar ausziehen, halten aber häufig den Kontakt und arbeiten weiter mit

Politiker sprechen gern von „Zukunft gestalten“ und „Kein Kind zurücklassen“. Hinter den Slogans verbergen sich oft eher abstrakte Pläne. Im Kinder- und Jugendhaus St. Elisabeth in Erle hingegen wird Demokratie sehr konkret gelebt. Direkt und mit Leidenschaft.

Das hauseigene Kinder- und Jugendparlament befasst sich mit ausgesprochen handfesten Themen. Es sind Probleme und Wünsche, die auch in jeder Familie verhandelt werden – aber eben im kleineren Kreis. In der Einrichtung leben insgesamt 70 Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren, in verschiedenen Gruppen und auch in Außenwohngemeinschaften.

Die Themen gleichen denen aller Jugendlicher

Es geht um Taschengeld, um Smartphones, Internetzugang, Freiräume, Bettgehzeiten, Spielräume und Spielgeräte. Wie bei allen Jugendlichen auf der Welt. Das Kinder- und Jugendparlament (Kijupa) des Hauses trifft sich alle drei Monate zu Partizipationstagen, also Beteiligungstagen. Einmal im Jahr wird zur Planung der eigenen Zukunft beziehungsweise der Zukunft der Jüngeren im Hause jedoch ein Wochenende gemeinsam weggefahren. Party-Wochenende heißt das unter Eingeweihten. Und es heißt wohl nicht nur so.

Benny (17) setzt sich dafür ein, dass die Dachgeschossräume künftig als Freizeiträume genutzt werden können.
Benny (17) setzt sich dafür ein, dass die Dachgeschossräume künftig als Freizeiträume genutzt werden können. © Martin Möller

Konstruktiv gearbeitet wird dabei trotzdem. Diesmal ging es unter anderem um ein Thema, das die Gemeinschaft schon seit einiger Zeit beschäftigt: Der ungenutzte Dachboden im Haus an der Cranger Straße. Benny (17) erklärt: „Daraus ließen sich wunderbare Freizeit- und Rückzugsräume machen.“ Wenn so ein Umbau nicht unglaublich viel Geld verschlingen würde. Schon allein die notwendige Wärmedämmung verschlingt Summen, von denen die Kijupa-Mitglieder nur träumen können.

Hoffen auf besseren Internetzugang

Geld spielt auch bei einem anderen aktuellen Thema eine Rolle: dem eingeschränkten Internetzugang etwa. Dabei geht es gar nicht unbedingt um Onlinespiele – naja, ein bisschen vielleicht auch darum – aber in erster Linie geht es um Recherchen für Hausaufgaben, für die heute oft PC- und Internetzugang vorausgesetzt werden. Dabei recherchieren die Jungparlamentarier selbst, wie hoch die Kosten für Verbesserungen wären, überlegen, wer als Sponsor und Unterstützer in Frage kommt, informieren sich über die Rahmenbedingen.

Vom Smartphone bis zum Weihnachtsfest in der Familie

Ab wieviel Jahren dürfen Bewohner ein Smartphone haben? Auch das war Thema im Kijupa.
Ab wieviel Jahren dürfen Bewohner ein Smartphone haben? Auch das war Thema im Kijupa.

Beim Thema Smartphone zum Beispiel. Die sind jetzt ab der weiterführenden Schule erlaubt statt erst ab 14 Jahren. Aber wie verhindert werden kann, dass die Kleinen damit Verträge abschließen – auch das muss bedacht und geregelt werden. Ein umgesetzter Plan steht vor dem Haus im Garten: das Klettergerüst. Die Idee dazu entstand ebenfalls dank einem Partywochenende. Über die Neugestaltung wurde heftig diskutiert, die Kleinen wollten unbedingt eine Rutsche haben.

Auch die neue Weihnachtsregel hat das Kijupa erstritten. „Für uns galt: Wenn wir 364 Tage miteinander verbringen, dann feiern wir auch zusammen Weihnachten. Die Idee dahinter war, dass niemand einsam zurückbleiben muss, der nicht zu seiner Familie fahren kann.“ erläutert Heimleiter Paul Rüther. Nun gibt es trotzdem einen Kompromiss: Bis 18 Uhr feiern alle zusammen, dann darf zu seiner Familie, wer die Möglichkeit hat. Und auch dort übernachten.

Nach dem Auszug Kontakt halten

Christin (18) lebt zwar nicht mehr im Haus, hält aber Kontakt.
Christin (18) lebt zwar nicht mehr im Haus, hält aber Kontakt. © Martin Möller

„Wir haben auch vieles für die Kleinen durchgeboxt“, erklärt Christin (18). Sie ist bereits in einer Ausbildung, musste pünktlich zu ihrer Volljährigkeit aus dem Haus ausziehen. Die Regeln schreiben das so vor und das Jugendamt achtet auf Einhaltung. Kontakt zum Haus hält sie trotzdem, war auch beim letzten Partywochenende dabei.

Umziehen im Abitur

Leon (17)hofft, nicht auf dem Weg zum Abitur umziehen zu müssen.
Leon (17)hofft, nicht auf dem Weg zum Abitur umziehen zu müssen. © Martin Möller

Auch Leon (17), der ebenfalls im Kijupa aktiv ist, droht 2017 der Zwangs-Auszug. wegen der Altersgrenze. Dabei will er nach der Hauptschule sein Abitur bauen: „Mitten im Abi umziehen macht doch gar keinen Sinn“, findet er. Benny will sein Fachabitur machen, am Berufskolleg. Aber solange sie noch da sind, arbeiten sie gern weiter mit im Kijupa. Demokratie macht hier halt Spaß.

Unterbringung und Betreuung je nach Bedarf des Heranwachsenden 

Seit 2008 gibt es das Kinder- und Jugendparlament (Kijupa) im St. Elisabeth Kinder- und Jugendhaus in Erle. In sechs verschiedenen Gruppen – davon sind zwei Außenwohngruppen – leben Kinder zwischen sechs und 18 Jahren. Dabei gibt es sowohl geschlechtergetrennte als auch gemischte Gruppen. Gleiches gilt für das Alter. Wer wo unterkommt, darüber entscheidet der Bedarf des Heranwachsenden. Auch Intensivbetreuung ist bei Bedarf möglich. Der Personalschlüssel ist darauf eingerichtet.

Die letzten Ordensschwestern gingen 2004

Im Jahr 1900 wurde das St. Elisabeth als Waisenhaus gegründet. Heute geht es weniger um Waisenkinder, als vielmehr um Heranwachsende, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht bei ihrer Familie leben.

Die letzten Ordensschwestern verließen das Haus im Jahr 2004. Heute arbeiten 70 Menschen für die Einrichtung. Die Vermittlung von Werten und Selbstständigkeit steht im Vordergrund.

Ein mittlerweile 140 Mitglieder starker Förderkreis unterstützt die Arbeit, bei der es nicht selten an Finanzmitteln fehlt. Wer hier mitmachen möchte: Kontakt ist möglich unter 0209 970 720 oder per Email an info@kinderheim-elisabeth.de