Gelsenkirchen. Totgesagte leben länger: Die Schallplatte trotzt der Krise und der Konkurrenz durch die CD - und hat sich einen kleinen, aber feinen Freundeskreis erhalten. Liebhaber und Kenner schätzen den warmen Klang, das Kratzen und Knacken der Vinylscheiben.
Vor 50 Jahren und zwei Wochen begann in Aachen eine Revolution: Am 19. Oktober entschied sich der Wirt des Lokals „Scotch Club” gegen eine Kapelle und für etwas, das Anwesende zunächst als leblose, „tote Musik” bezeichneten - die Schallplatte ebnete den Weg ins Disco-Zeitalter.
Heute blicken die Vinylscheiben auf eine bewegte Geschichte zurück: Stilbildend für die Musikszene der 60er, 70er und 80er Jahre, wurden sie beim Massenpublikum später von der CD abgelöst. Mehrfach totgesagt und jedes Jahr wieder für lebendig erklärt, hat die Schallplatte bis heute überdauert - auch in Gelsenkirchen. „Die Schallplatte kriegt man nicht tot”, sagt einer, der sich schon sein halbes Leben mit den großen schwarzen Scheiben befasst. Norbert Spriewald verkauft seit 25 Jahren Platten, aktuell im Saturn an der Bahnhofstraße, und schätzt sie auch privat: „Der Klang ist einfach einmalig. Manchmal braucht man dieses Knacken und Kratzen, damit man spürt, dass die Musik noch lebt.” Einmal im Jahr veranstaltet Spriewald mit Gleichgesinnten einen „Plattenabend”: „Das ist immer ein ganz besonderes Event, ein Stück Jugend und Nostalgie.”
Beliebt: Die Beatles und Bob Dylan
So sieht es auch sein Kollgege Michael Mißbach, Verkaufsleiter der CD-Abteilung des Saturn in Buer und dort Herr über bis zu 500 Schallplatten: „Der Klang ist einfach viel wärmer als bei einer CD.” Der Verkauf laufe „sehr gut”, auch wenn die Interessenten aus einem „kleinen Kreis” kämen. „Stammkundschaft”, nennt Mißbach diejenigen, die seine Leidenschaft für Vinyl teilen. Besonders gefragt: Die alten Platten der Beatles, von Janis Joplin und Bob Dylan.
Beide Experten kennen aber in Gelsenkirchen keinen klassischen Plattenladen mehr: „Dafür braucht man heute sehr viel Enthusiasmus oder viel Geld.” In Abwesenheit der kleinen Fachgeschäfte ist die Beteiligung der Gelsenkirchener Tonträgerhändler an der bundesweiten Initiative zu Ehren der Schallplatte eher gering: In dieser Woche soll in 70 deutschen Städten an die Vinyl-Branche erinnert werden.
Ein Lebenszeichen mit Signalkraft - auch gegen die Überalterung der Kundschaft: „Viele Jugendliche wissen mit der Schallplatte gar nichts anzufangen”, weiß Norbert Spriewald.