Gelsenkirchen. Literaturwissenschaftler und Thrillerautor Dr. Herbert Knorr macht das Ruhrgebiet zum spannenden Tatort.

Sein Metier ist der Mord. Der Gelsenkirchener Literaturwissenschaftler und Thrillerautor Dr. Herbert Knorr wetzt alle zwei Jahre erfolgreich die Messer. Als Manager von Europas größtem Krimifestival „Mord am Hellweg“ macht er das Ruhrgebiet zum bluttriefenden, spannenden Tatort.

Der 64-Jährige leitet zudem seit 1994 das Westfälische Literaturbüro in Unna und engagiert sich auf diese Weise für die Autoren-, Lese- und Literaturförderung in Nordrhein-Westfalen. Seit 2009 ist Herbert Knorr auch Thrillerautor. Die WAZ sprach mit Knorr über die Lust an Leichen, die Angst vor No-go-Areas und Lesestoff im Sommer.

Einmal Blut geleckt, sind mit dem Krimi-Festival „Mord am Hellweg“ inzwischen längst erfolgreicher Serientäter. Was fasziniert Sie so an Mördern, Leichen und bösen Zeitgenossen?

Dr. Herbert Knorr: Ein Krimi ohne Leiche und Mörder – das geht ja nicht. Aber Faszination? Ich weiß nicht. Mich persönlich interessiert die spannende Geschichte, die handelnden Personen mit ihren oft gebrochenen Biografien, die Gründe und Hintergründe der Gewalttaten und ihrer Aufklärung. Und wenn auch mal die Ermittler die Bösen sind, umso besser. Ambivalenz lockt mich, wenn sie gut gemacht ist. Zumal Krimis sehr oft ein Seismograph der gesellschaftlichen Entwicklungen sind und stets aktuelle Themen verarbeiten.

Was macht den Reiz für die so große Leserschaft aus?

Knorr: Der entspannende Effekt von Spannung ist nicht zu unterschätzen: der gefahrlose Blick in die Abgründe des Bösen – auf dem Sofa, im Urlaub, in der Mittagspause oder aber in der Straßenbahn. Man ist hautnah dabei, aber nicht wirklich betroffen. Das hat eine Art Katharsis-Effekt, zumal die Bösen in der Regel ja auch gefasst werden. Außerdem gibt ja nicht nur „den“ Kriminalroman, es existieren Dutzende Untergenres, die alle ihre Leser haben: cosy crime etwa, der Thriller oder Psychothriller, der Detektivroman, der Hard-boiled-Krimi, nicht zu vergessen der Regionalkrimi und was es sonst noch alles gibt. Der Krimi ist ein wunderbar changierendes Genre mit unglaublich vielen Facetten!

Wie steht die regionale, die Gelsenkirchener Krimiszene da im Konzert mit internationalen Autoren?

Knorr: Die Kollegenschaft einer einzelnen Stadt mit der internationalen Szene zu vergleichen, ist nicht fair. Aber Gelsenkirchen muss sich im Vergleich mit anderen Ruhrgebietsstädten nicht verstecken. Seit Ende der 80er Jahre hat Peter Schmidt für seine Krimis viele Preise erhalten. Klaus-Peter Wolf hat Millionenauflagen. Und einige andere gibt es auch noch ... Die Krimiszene in Gelsenkirchen ist ziemlich rührig.

Na ja, und Sie selber schreiben ja auch!

Knorr: Genau, seit über zwanzig Jahren schreibe ich Romane, Sachbücher, Kurzgeschichten oder betätige mich als Herausgeber von mittlerweile weit über fünfzig verschiedenen Veröffentlichungen. Ende August erscheint ein neuer Krimi von mir, der in Gelsenkirchen und im Ruhrgebiet spielt. „Schitt häppens“ heißt er und handelt von Serienmördern und Stehpinklern. Eine kriminelle Ruhrgebietsgroteske, wenn Sie so wollen, die am 6. September auf Zeche Hugo Premiere hat.

Und warum haben Sie Ihre Thriller unter dem Pseudonym Chris Marten auf den Markt gebracht?

Knorr: Ich habe diese Thriller damals nicht alleine geschrieben, sondern in Co-Produktion mit einer Autorenkollegin, die zufälligerweise (lacht) auch noch meine ehemalige Deutschlehrerin gewesen ist. Und da sich zwei Namen auf einem Cover nicht so gut machen, haben wir uns diesen Namen ausgedacht damals. Aber im Moment bin ich halt alleine unterwegs.

Was liest der Experte denn im Sommer in der Hängematte?

Knorr: Überraschung, kein Krimi! Das Programm steht ja. Ich habe mir vorgenommen, endlich „Panikherz“ von Stuckrad-Barre zu lesen. Außerdem bin ich begeisterter Schachspieler und werde ein Schachbuch im Urlaubsgepäck haben.

Der Startschuss für das nächste Festival „Mord am Hellweg“ fällt im Herbst dieses Jahres. Bis dahin müssen Sie ja sozusagen fast Tag und Nacht in mörderischen Machenschaften stöbern. Können Sie selbst sich überhaupt noch bei einem Krimi entspannen?

Knorr: Wenn das nicht mehr ginge, würde ich es lassen. Aber es macht nach wie vor Spaß, weil auf meinem Schreibtisch in der Regel ja nur die Besten des Genres landen. Und ein wenig anderes habe ich im Literaturbüro Unna ja auch noch zu tun, was für Abwechslung sorgt. Für den Herbst 2017 etwa steht ein landesweites Festival vom „literaturland westfalen“ an, für das wir bereits in der Vorbereitung sind.

Gelsenkirchen liegt nicht gerade am Hellweg. Was hat denn die Stadt, dass sie so gut eingebunden ist ins Festival?

Knorr: Nicht nur, dass wir großartige Partner vor Ort haben: Gelsenkirchen hat unglaublich viele attraktive Stätten zu bieten, die wir vom Festival aus bespielt haben oder noch bespielen können. 2010 etwa die Tropenhalle im Zoom, 2012 die JVA oder 2014 Schloss Horst einschließlich Vorburg. Schöne oder außergewöhnliche Orte sind ja ein Markenzeichen von „Mord am Hellweg“. 2016 wird es unter anderem das „verruchte“ alte Stadttheater auf der Bochumer Straße sein. Mal sehen, wer da so alles gekillt wird (lacht).

Was jagt Ihnen eine Gänsehaut über den Rücken, in der Literatur, aber auch im wirklichen Leben?

Knorr: Volksverdummung, Gewalt und undemokratische Strukturen.

Das Festival „Mord am Hellweg“ hat die größten zeitgenössischen Krimiautoren zu Gast. Wen möchten Sie hier auf jeden Fall noch mal live auf Mördersuche schicken?

Knorr: Elisabeth George oder Kathy Reichs? Ja, auf jeden Fall!

Sie leben ja in Ückendorf, einem Stadtteil, dem man auch manche No go-Area nachsagt. Angst einflößend oder Inspiration?

Knorr: Ach, das ist ein großes Thema! Kaum in Kürze abzuhandeln. Was da nämlich in der bundesweiten Presse herumgegeistert hat über Ückendorf, ist in dieser übertriebenen Form einfach nur lachhaft. Da wird ein Teil zum Ganzen erhoben, fürchterlich! Leider hat es Folgen: Viele Freunde fragen mich seitdem allen Ernstes, wie ich hier eigentlich überlebe. Ich lade sie dann ein, mit mir einen Spaziergang zu machen: Halde Rheinelbe, Von-Wedelstaedt-Park, Halfmannshof, Wissenschaftszentrum, Siedlung Flöz Dickebank, die Gründerzeithäuser, die alten Direktorenvillen, Markgrafenhof... Anschließend werde ich gefragt, ob ich ihnen wirklich Ückendorf gezeigt hätte? Sie werden es nicht glauben, meine Gäste haben sogar die Bochumer Straße überlebt! Ich will ja nicht schönreden, dass es bei den vielen Leerständen große Probleme gibt und vieles verbesserungswürdig ist, Sanierungsbedarf da ist, aber das gilt auch für andere Stadtteile und nicht nur für GE. Glauben Sie mir, ich komme viel herum. Aber die Stadt hat ja die Bochumer Straße nicht umsonst zum Kreativquartier ausgerufen und ist bereits mit der Entwicklung dabei. Wenn‘s schneller ginge und auch einige andere Straßenecken beträfe, ich hätte nichts dagegen. Nein, ich habe keine Angst! Inspiration, durchaus! In meiner Krimiruhrgebiets-Groteske fährt meine Heldin nach Ückendorf, weil sie einen Auftragskiller benötigt und gehört hat, dass es hier viele Verbrecher geben soll. Sie findet keinen einzigen, dafür eine Galerie nach der anderen. Doch die Künstler, obwohl sie ihnen „nen Fuffi“ bietet, haben mit Mord und Totschlag nichts am Hut, so dass sie enttäuscht abzieht. Vielleicht war ein „Fuffi“ aber auch zu wenig? (lacht)