Gelsenkirchen. Der Evangelische Kirchenkreis verliert pro Jahr rund 2500 Gemeindeglieder. Vor Ort läuft längst der Konzentrationsprozess.

87 929 – so viele waren es tagesaktuell am Donnerstag. Die Zahl steht für die Gemeindeglieder, die der Evangelische Kirchenkreis Gelsenkirchen und Wattenscheid hat. Noch. Austritte, vor allem aber Sterbefälle sind kaum zu kompensieren.

847 Gemeindeglieder erklärten 2014 ihren Kirchenaustritt, 2015 waren es 571, dieses Jahr (bis Anfang Juli) 196. Eintritte wurden 2014 insgesamt 70 gezählt, im Jahr darauf immerhin 100, 32 zudem im laufenden Jahr. Für 2008 bis 2012 verzeichnete der Kirchenkreis mit durchschnittlich 244 Austritten pro Jahr eine recht konstante Anzahl an Kirchenaustritten. Eine Veränderung trat bereits 2013 mit 486 verzeichneten Kirchenaustritten ein, 2014 war dann das Spitzenjahr, seither sinkt die Zahl der Austritte wieder.

„Wir verlieren jedes Jahr etwa 2500 Gemeindeglieder. Die meisten durch Wegzug oder Ableben. 2014 war aber auch die Zahl der Austritte überdurchschnittlich hoch. Auffällig war, dass darunter viele ältere Gemeindeglieder waren. Hier hat die Erinnerung der Sparkassen und Banken, dass auch die Kapitalertragssteuer Kirchensteuer auslöst, offensichtlich für große Verunsicherung auch unter den älteren Gemeindegliedern gesorgt“, kommentiert Superintendent Rüdiger Höcker die Entwicklung. Die Praxis bestätigt ihn in seiner Einschätzung: „In der Wiedereintrittsstelle des Kirchenkreises machen wir in Gesprächen immer wieder die Erfahrung, dass die Kirchensteuer bei Austrittsentscheidungen eine große Rolle spielt. In diesen Gesprächen wird auch deutlich, dass viele ihre innere Bindung zu ihrer Kirche behalten haben. Sie ist ihnen wichtig und manchmal wichtiger als die Kirchensteuerpflicht. Entsprechend wächst der Wunsch wieder einzutreten.“

Konzentrationsprozess geht weiter

Superintendent Rüdiger Höcker.
Superintendent Rüdiger Höcker. © FUNKE FotoServices | FUNKE FotoServices

Der Kirchenkreis hat in den letzten Jahren bereits seine Gemeinden, Angebote und Kräfte konzentriert und auch Kitas aufgegeben, um sich für die Zukunft zu rüsten. Wandel ist sozusagen zum Normalzustand geworden. Höcker sieht es auch eine Spur pragmatisch: „Kirche ist dort, wo Menschen sich auf Gottes Wort einlassen. Kirche ist dort, wo Menschen aus ihrem Glauben heraus diakonisch und seelsorgerlich tätig werden. Bei allen Veränderungen wird das bleiben.“

Fünf evangelische Gemeinden gibt es im Stadtnorden (Beckhausen, Horst, Trinitatis, Lukas und die Christusgemeinde, die allein die Stadtteile Buer-Middelich, Buer-Erle, Resser Mark und Resse abdeckt. Im Süden bleiben drei Gemeinden: Heßler, Apostel (mit Bismarck, Bulmke, Hüllen und Ückendorf) sowie Emmaus mit Altstadt, Neustadt, Rotthausen und Schalke.

„Grundsätzlich gilt, dass wir als evangelische Kirche in Gelsenkirchen und Wattenscheid uns auf jährliche sinkende Gemeindegliederzahlen einstellen müssen“, sagt Höcker, verspürt aber in den Gottesdiensten einen gegenläufigen Trend: „Da machen wir die Erfahrung, dass in Bezug auf die Gemeindegliederzahlen der Besuch zunimmt. Das Gleiche gilt für die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Neujahrsempfang der Jugend für die Ehrenamtlichen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hatte zuletzt deutlich steigende Zahlen zu verzeichnen.“

Zurück auf drei verschiedenen Wegen

„ Für uns ist wichtig, dass Menschen, die wieder eintreten wollen, uns als offene, einladende Kirche erleben, die Verständnis zeigt für unterschiedliche Gründe, zeitweise die Kirche zu verlassen“, postuliert Superintendent Rüdiger Höcker.

Für den Wiedereintritt gab es lange die zentrale Wiedereintrittsstelle. 2004 wurde sie im Turm der Altstadtkirche am Heinrich-König-Platz eröffnet. Hier konnte man nach einem Gespräch mit einem Pfarrer oder einer Pfarrerin sofort in die Evangelische Kirche eintreten. Bis 2010 taten das hier rund 70 Menschen pro Jahr. „Nachdem die starke Nachfrage der ersten Jahre abgeflacht war, wurden die Öffnungszeiten 2012 reduziert. Zusätzlich gibt es seitdem die Möglichkeit, einen individuellen Termin für ein vertrauliches Informations- oder Eintrittsgespräch zu vereinbaren (0209 1798 421, E-Mail: nicole.polhoefer@kk-ekvw.de). Seit 2015 wird die individuelle Absprache von nahezu allen Eintrittswilligen favorisiert“, stellt der Kirchenkreis fest. Der Wiedereintritt ist zudem zentral beim Kirchenkreis und lokal bei der Kirchengemeinde, in der man wohnt, möglich.

Der Kreissynodalvorstand hat daher zuletzt beschlossen, den zentralen Wiedereintritt ganz auf dieses Modell umzustellen. Der Weltladen, bisher nur im Erdgeschoss des Turms präsent, nutzt nun auch das Obergeschoss im Kirchturm, um Waren zu präsentieren