Gelsenkirchen. . Königsblaue Stunden: Der Autor und Stadtführer Olivier Kruschinski führte WAZ-Leser durch den Gelsenkirchener Stadtteil Schalke.
- Schalke-Fans aus Japan und Afrika kommen vor dem Spiel der Schalker noch in die St.Joseph-Kirche
- Der Industrielle Friedrich Grillo war der erste Sponsor der legendären Elf aus den 1930er-Jahren
- Das Fußball-Museum ist praktisch vor der Haustür - ein kulturhistorischer Schatz
20 WAZ-Leser warten vor der St. Joseph-Kirche in Schalke auf ihren Begleiter. Die Kleidung verrät ihre Leidenschaft. In Heim- und Auswärtstrikots von Schalke 04 sind sie erschienen, wollen bei einer Schalker Mythostour mehr erfahren vom Zauber der Kicker und der Verwurzelung mit dem Stadtteil. Bei seiner Spurensuche will Olivier Kruschinski den Lesern die Untrennbarkeit von Fußball und Stadtteilgeschichte vermitteln und bei ihnen das Feuer entfachen, das bei ihm dauerhaft lodert. „Ich will die Menschen auch für den Stadtteil mit seiner Geschichte begeistern.“ Der Buchautor, Stadtführer, Schalke-Forscher und Anekdotensucher bittet seine Tourmannschaft zum Start ausgerechnet in die Kirche. Doch die ist längst mehr als ein gewöhnliches Gotteshaus. Regelmäßig vor den Heimspielen begrüßt Maria Boch Schalke-Fans in der Kirche. Vor einem aufwühlenden Herz-Schmerz-Spektakel suchen sie die Stille, zünden Kerzen an, sind fasziniert beim Anblick des Heiligen Aloysius. Der trägt auf dem Wandbild nämlich Fußballschuhe und blau-weiß gestreifte Ringelsocken. Ein Fußball ruht zu seinen Füßen. „Ich habe Schalke-Fans aus Japan und Afrika hier erlebt. Ein Anhänger aus Bamberg besucht regelmäßig unsere Kirche.“ Als ein vom Traktor gezogener Konvoi vorbeizog, warf der Fahrer der 66-Jährigen fünf Euro herunter. Für Kerzen, als flammende Erleuchtung für die Mannschaft. „Die Gemeinde“, sagt Olivier Kruschinski, „unterscheidet sich nicht vom Verein. Als Gemeinschaft wollten beide die Menschen zusammenführen. „Der Leitplan fürs Leben ist für die einen der christliche Kalender, für die anderen der Spielplan.“
Grundstück von Grillo gestiftet
In Wurfweite ist Ernst Kuzorra, der Vater der Schalker Legende, aufgewachsen. In der Blumendelle stand sein Elternhaus. Auf der anderen Straßenseite steht die Büste von Friedrich Grillo. Sie symbolisiert die industrielle Entwicklung Schalkes und den Aufbau einer sozialen Infrastruktur. Der Industrielle war auch der erste Sponsor des Vereins, als er das Grundstück für die Glückauf-Kampfbahn zur Verfügung stellte. Fußballgeschichte taucht an jeder Ecke auf. „Wir haben das Fußballmuseum im bekanntesten deutschen Stadtteil vor der Haustür“, sagt Kruschinski. Er sieht die enge Verbindung als kulturhistorischen Schatz. Wie auf Bestellung steht im Nachbarhaus an der Schalker Straße Heinz van Haaren in der Tür, der das Spiel der Schalker in den 60er Jahren lenkte.
Rund um den Schalker Markt hatten Berni Klodt, Kapitän der 58er Meistermannschaft, und später Willy Schulz, eine Kneipe. Ein düsteres Schalke-Kapitel: Als Profiteur der Arisierung hatte Fritz Szepan sein Textilgeschäft am Schalker Markt weit unter dem tatsächlichen Wert von einer jüdischen Familie erworben. Stolpersteine erinnern an deportierte jüdische Bürger und an die brutale Herrschaft der Nazis. In der Studie „Zwischen Blau und Weiß liegt Grau“ wird auch dieses Kapitel Schalker Geschichte aufgearbeitet.
Der Mythos-Weg führt über die Berliner Brücke. „Als es die Brücke noch nicht gab, flippten viele Fans aus, wenn die Glückauf-Schranke mal wieder geschlossen hatte und sie zu spät zum Spiel kamen“, weiß Olivier Kruschinski. Entlang der Schalker Meile geht’s schließlich ins Epizentrum Schalker Traditionen, der Glückauf-Kampfbahn. „Schalke spielt heut nicht“, scherzt ein Anwohner, als die Truppe vorbeizieht.
Li-bu-da-Gesänge klingen im Ohr
Auch wenn die Flutlichtmasten kleiner geworden sind, heute auf künstlichem Rasen gespielt wird, lassen sich nostalgische Gefühle nicht unterdrücken. Hier haben die Blauen sechs Meisterschaften geholt, ältere Besucher Kinder an die Hand genommen und kostenlosen Eintritt verschafft. Li-bu-da- Gesänge klingen im Ohr, Fischer-Fallrückzieher tauchen wieder auf. Schließlich versucht Kruschinksi doch noch, eine Erklärung für den Mythos-Begriff zu finden. „Ich glaube, dass es eine Mischung von Geschichte und Geschichten ist.“