Gelsenkirchen. . Stadt und Polizei Gelsenkirchen arbeiten im Kampf gegen jugendliche Intensivtäter zusammen. Kooperation vereinbart. Teilnahme am „Kurve kriegen“-Präventionsprojekt .

Über drei Meter lang ist der Papierbogen, der auflistet, was der heute 19-jährige Intensivtäter auf dem Kerbholz hat. 109 Straftaten sind es, die medienwirksam im Foyer des Gelsenkirchener Polizeipräsidiums ausgebreitet werden – sie reichen von Sachbeschädigung über Diebstahl bis hin zu Körperverletzung und Raub. Mit gerade einmal acht Jahren begann seine kriminelle Karriere – erschreckend.

Um das Abgleiten Jugendlicher auf die „schiefe Bahn“ zu verhindern, haben Stadt und Polizei eine Kooperation beschlossen. Gelsenkirchen wird Teil des Präventionsprojektes „Kurve kriegen“. Die 2011 vom Innenministerium gestartete Initiative richtet sich an bereits kriminell gewordene 8- bis 15-Jährige und wird nach einem Testlauf in acht Modellstädten, darunter Dortmund, jetzt in weiteren elf Polizei-Präsidien verankert: Bochum, Bonn, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen, Mettmann, Mönchengladbach, Münster, Paderborn und im Ennepe-Ruhr-Kreis. Mit den Modellstädten Aachen, Bielefeld, Duisburg, Hagen, Köln sowie der Rhein-Erft-Kreis und der Kreis Wesel sind es nun 19 Städte und Regionen, die beteiligt sind.

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Polizeipräsidentin Anne Heselhaus-Schröer und OB Frank Baranowski betonten bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages, wie wichtig es sei, „frühe Hilfe zu geben, statt später Härte zeigen zu müssen“. Denn dann ist es oft zu spät, habe sich das Fehlverhalten bereits etabliert.

Eltern geben ihr Einverständnis

Das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt, wählt in Gelsenkirchen Kriminalhauptkommissarin Bettina Hartmann bis zu 30 auffällig gewordene Schüler aus, die dann von einer „in der Kinder- und Jugendhilfe erfahrenen Fachkraft“ eines freien Trägers betreut werden. Der Baukasten für individuelle Maßnahmen enthält unter anderem Anti-Aggressionstraining, Lernhilfen, Sprach- und Sportkurse oder auch Sucht- und Schuldenberatung. Jugendamt und Schule sind ebenso mit eingebunden.

Dass der Ansatz von „Kurve kriegen“ durchaus effektiv sein kann, davon berichtet Wolfgang Wendelmann vom federführenden Innenministerium des Landes NRW: „Eine Studie hat gezeigt, dass von 231 Teilnehmern 40 Prozent 14 Monate nach der Betreuung keine Straftaten mehr begangen haben, 75 Prozent nicht mehr durch Körperverletzung aufgefallen sind.“

Das Ganze hat auch eine wirtschaftliche Komponente. Und die wiegt schwer. Ein jugendlicher Intensivtäter verursacht Kosten in Höhe von etwa 1,6 Millionen Euro. Demgegenüber stehen Betreuungskosten durch „Kurve kriegen“ von 25 000 Euro und 100 vermiedene weitere Opfer. Diese „Präventionsrendite“ will man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

Kommentar von Nikos Kimerlis: Richtiger Ansatz 

Drei schwere Eigentumsdelikte muss ein Kind auf dem Kerbholz haben oder eine Gewalttat, plus ein kriminalitätsgefährdendes Umfeld, um in dieses Präventionsprogramm zu kommen. Falsche Freunde, überforderte Eltern, fehlende Bezugspersonen, ein sozial schwaches Wohnviertel. . . Da bildet auch Gelsenkirchen keine Ausnahme.

Vorsorge ist besser als Nachsorge, und oft um ein Vielfaches günstiger – das gilt nicht nur für den Gesundheitssektor, wo eine vergleichsweise preiswerte Vorbeugung exorbitant teure Behandlungen verhindern helfen kann. Insofern ist der Ansatz von „Kurve kriegen“ gut und richtig. Allerdings: Neu ist diese Erkenntnis nicht. Und die Problematik der jungen Intensivtäter auch nicht. Warum also erst jetzt?