Gelsenkirchen. Das ehemalige Verwaltungsgebäude des Gussstahlwerks gilt als Prunkstück industrieller Baukunst. Das Arbeitsgericht zog nach 23 Jahren dort aus – Richtung Justizzentrum.

Größer könnte der Kontrast nicht sein. Hier der futuristisch gestaltete Wissenschaftspark mit seiner 300 Meter langen Glasfassade, in Nachbarschaft der industrielle Natursteinpalast der früheren Gussstahlverwaltung. 1918 wurde das Gebäude nach den Plänen des Gelsenkirchener Architekten Theodor Waßer gebaut. 23 Jahre nach der Restaurierung des imposanten Bauwerks müssen mit den Mitarbeitern des Arbeitsgerichts die letzten Hausherren umziehen. Es ist nur ein kurzer, aber von Nostalgie begleiteter Weg ins benachbarte Justizzentrum.

Die 17 Beschäftigten wussten die räumliche Nähe zwischen Geschäftsstellen und den fünf Kammern zu schätzen. Auch die Kunst an ihrem Arbeitsplatz, die großzügige Gestaltung der Räume und die Geschichte des repräsentativen Gebäudes hat sie fasziniert.

In diesen Tagen zieht das Gericht in das neu errichtete Justizzentrum um. Für Geschäftsleiter Michael Slawinski und Regierungsangestellte Angelika Kribus, die seit 43 Jahren beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen arbeite, heißt es Abschied nehmen.
In diesen Tagen zieht das Gericht in das neu errichtete Justizzentrum um. Für Geschäftsleiter Michael Slawinski und Regierungsangestellte Angelika Kribus, die seit 43 Jahren beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen arbeite, heißt es Abschied nehmen. © Funke Foto Services

Als die Konzernspitze des ehemaligen Gussstahlwerks einzog, hatten sich die Direktoren einen Verwaltungspalast bauen lassen, der die Bedeutung des Unternehmens wie auch deren Stellung als Spitzenmanager charakterisieren sollte. Die Natursteinfassade im Eingangsbereich verleiht dem Gebäude auch heute noch einen repräsentativen Charakter. Eher nüchtern ist die Rückfront gestaltet worden. Der damalige technische Direktor blickte aus seinem Fenster direkt in die Produktionshallen. Bis zum Auszug des Gerichts konnten sich Prozessbeteiligte in dem mit Parkett ausgestatteten Raum zu Besprechungen zurückziehen. Stuckarbeiten und Schrankwände geben dem Zimmer, das damals den repräsentativen Charakter verdeutlichen sollte, auch heute noch einen exklusiven Charme.

Abhörsichere Telefonzelle in der Raumecke

Dort, wo bis vor wenigen Tagen noch die Direktorin des Arbeitsgerichts ihre Termine vorbereitete, residierte in der industriellen Blütezeit der Direktor. Wandvertäfelungen, dekorative Stuckarbeiten an der Decke, ein gepflegter Parkettboden wirken eher wie ein Luxusapartment. Zumal zum Raum auch eine Waschzelle gehört, die sich der Industriemanager einbauen ließ. Sie kann auch heute noch benutzt werden. Nur die abhörsichere Telefonzelle in der anderen Raumecke hat ihre Bedeutung im Zeitalter von Internet und Handy verloren.

Der massige Leuchter in der Eingangshalle, der an Hand alter Zeichnungen rekonstruiert werden konnte, lässt sich vom Dach aus hydraulisch bewegen. Er ist dem Jugendstiloriginal nachempfunden worden. Die hellgrauen, gesprenkelten Säulen sind eine Nachbildung des ursprünglichen Putzes. Bei der Restaurierung des Treppenhauses fehlten einige Platten zur Wiederherstellung des früheren Stils. Der Steinbruch im Westerwald, aus dem der Kalkstein stammte, existierte nicht mehr. Architekt Norbert Muhlack versuchte dennoch sein Glück und suchte im Steinbruch nach Fragmenten. Tatsächlich fand er in einem Wagen auf einem ausgedienten Gleis noch das fehlende Material. Aus Aachener Blaustein ist der Boden verlegt worden. Oberhalb der Treppe residieren zwei Hermesköpfe aus Putz, die am Kopf mit Flügeln versehen sind.

 Zahlreiche Plastiken mit Bezug zur Arbeitswelt zieren das Treppenhaus.
Zahlreiche Plastiken mit Bezug zur Arbeitswelt zieren das Treppenhaus. © Funke Foto Services

Auch das Mosaikmuster in der Halle ist rekonstruiert worden. Zu Fünfecken geformte graue, grüne und bläulich schimmernde Keramikfliesen schmücken den Bereich. „Die fehlenden Steine“, erinnert sich Geschäftsleiter Michael Slawinski, „musste der Architekt in einer Schweizer Fabrik nachbestellen.“ Für ihn ist es ein Abschied aus dem vertrauten, repräsentativen Haus. Oder auch für die Regierungsangestellte Angelika Kribus. Seit 43 Jahren arbeitet sie für die Justiz. Es ist ihr fünfter beruflicher Umzug.

Marmor, Messing, Wasserspiele

Von einer geometrischen Ordnung ließ sich der Künstler Andreas Karl Schulze leiten, als er die früheren aus hellem und dunklem Putz erstellten Bildtafeln, die zerstört oder gestohlen wurden, durch zehn Stoffmuster ersetzte. Die weiß und weinrot farbenen Quadrate erscheinen auf den Kunstwerken in jeweils versetzten Positionen. Eine einzige Wandskulptur ist nicht in die Hände der Diebe gefallen. In zwei Nischen funktionieren die vergoldeten Drehkräne in den Brunnen auch heute noch. Aus Messing besteht der Handlauf an der Marmortreppe zur 1. Etage. In den Sälen haben die streitenden Parteien noch bis vor wenigen Tagen die Klingen gekreuzt. Jetzt ist Friede eingekehrt.

Auf die massigen Bänke werden Nachmieter wohl verzichten. Doch das wertvolle Kassetten-Parkett wie auch die Marmor-Fensterbänke könnten auch neuen Hausherren gefallen. Die Denkmalschützer werden ohnehin wachsam auf ihr Prunkstück schauen. Pläne für die weitere Nutzung existieren. Das Ergebnis? Noch offen.