Gelsenkirchen. Unterwegs mit zwei Kundenbetreuern in der Linie 302: “Wolle“ und “Matthes“ sind nicht nur Kontrolleure, sondern oft auch Helfer und Wegbereiter.
„So, wer ist hier neu dazu gekommen? Einmal die Fahrkarten bitte!“ Schichtbeginn für Michael Stahn (50) und Achim Mariak (61) in der Linie 302 vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof nach Wattenscheid. Die Straßenbahn ruckelt los, und das Kramen in Schul-, Hand- und Jackentaschen beginnt. Mit ihren elektronischen Lesegeräten ziehen die beiden Kundenbetreuer – so lautet ihre offizielle Bezeichnung – durch die Reihen und überprüfen die Tickets. Hin und wieder bleiben die beiden etwas länger bei einem Fahrgast stehen, oft älteren Semesters, – ein kurzer Plausch, ein kleiner Scherz, ein Lacher, dann geht’s weiter. Man kennt sich mittlerweile – zumindest unter den Vielfahrern. Alles im grünen Bereich sagt die Anzeige. Schwarzfahrer? Fehlanzeige.
120 dieser Kundenbetreuer, in zivil oder in schwarz-roter Dienstuniform, hat die Bogestra seit 2004 im Einsatz. Sie sind Ansprechpartner für 400 000 Kunden pro Tag, darunter 100 000 Ticket-Abonnenten. In Schichten sind die beiden Gelsenkirchener im Einsatz. „Wir kennen unsere Stammkunden und sie uns“, sagen Achim Mariak und Michael Stahn. Seit Jahren schon arbeiten die beiden Quereinsteiger für das Bochum-Gelsenkirchener Verkehrsunternehmen, mittlerweile wird das Duo bei ihrer Klientel unter den Spitznamen „Wolle“ und „Matthes“ geführt – wegen der nicht zu verleugnenden Ähnlichkeit mit den Schlagerbarden Wolfgang Petry und Matthias Reim.
Mit dem Fahrtbuch unterwegs
An der Gesamtschule Ückendorf wird es lauter. Dutzende Mädchen und Jungen steigen aufgeregt schwatzend ein. Kaum sehen sie die Bogestra-Mitarbeiter in Uniform, zücken sie ihre Tickets. Ein Fremder spricht Stahn und Mariak in gebrochenem Deutsch an. Er ist mit Frau und Kindern unterwegs, will nach Bochum. Er braucht ein Tagesticket, kommt aber offensichtlich mit dem Automaten in der Straßenbahn nicht klar, hat außer einem Zwanziger kein Münzgeld dabei. Stahn schnappt sich den Schein, fragt unter den Fahrgästen nach und kommt mit passendem Hartgeld zurück. Der 50 Jährige löst für den Gast das richtige Ticket. Der Mann ist erleichtert, bedankt sich lächelnd.
„Tickets verkaufen wir nicht“, erklärt Michael Stahn sein und das Arbeitsspektrum seines Kollegen. Smartphones mit einer VRR-App haben sie dabei in kleinen schwarzen Umhängetaschen. Neben dem Lesegerät geht auch das klassische Fahrtbuch mit auf Reisen. „Fahrpläne, Liniennetz und Anschlussmöglichkeiten müssen wir im Kopf haben“, ergänzt Mariak, „um den Fahrgästen Auskunft zu geben.“ Und falls bei der Fülle von Daten mal grad einer „auf der Leitung steht“, muss das üppige Seitenwerk herhalten. Oft gefragt: Der Weg mit Bus und Bahn zu Schulen, Ämtern, Behörden oder Ausflugszielen.
Mehr Toleranz bei Kindern und sehr alten Menschen
Die Kundenbegleiter helfen Älteren beim Einstieg, packen bei Kinderwagen mit an, verbannen Raucher aus den Stationen und organisieren den reibungslosen Ein- und Ausstieg - Dank bekommen sie selten. Fahrkartenkontrolleure sind eben nicht gerade beliebt. „Freundlich aber bestimmt gehen wir auf die Fahrgäste zu“, sagt Achim Mariak. Ein martialisches Auftreten bringe rein gar nichts. „Freund- und Höflichkeit finden einen guten Boden“ lautet daher ihre Devise. Damit „fahren wir gut“. Doch manchmal sind selbst solch „alte Hasen“, dazu noch intensiv geschult in Deeskalation, machtlos. 5000 Übergriffe im Jahr weist die jüngste Statistik der Bogestra auf, darunter Beschimpfungen und körperliche Angriffe. „Bei einer Kontrolle bin ich mit einem Kollegen in zivil in eine Rangelei geraten“, erzählt Mariak. Von den schmerzhaften Prellungen danach hatte er noch länger ’was. „Ich dagegen hatte bislang Glück, bis auf ein paar Beleidigungen ist nichts Schlimmes passiert. Nur einmal, da hat mich ein Kerl wie ein Baum, einfach gepackt und zur Seite gestellt“, erinnert sich Michael Stahn. „Der wollte nur raus, hatte keinen Fahrschein.“
In Wattenscheid wechseln die Kundenbegleiter die Bahn in Gegenrichtung. Bis die Tram kommt, bleibt Zeit über Ausreden und Kulanz zu reden. „Wir sind sehr kulant“, sagen die beiden Bogestra-Männer. Gerade bei Kindern und sehr alten Menschen herrsche etwas größere Toleranz.
Kontrolleure kennen die Ausreden-Klassiker
Bei Ausreden der Klasse „Ich wollte die Bahn nur besichtigen. Aber als ich eingestiegen bin, hat der Fahrer einfach die Tür zugemacht und ist losgefahren“ ist es vorbei mit einem möglichen Entgegenkommen. Oder bei Tricks wie diesem Klassiker: Die Fläche auf dem Papier, die durch den Stempel entwertet wird, ist mit Tesafilm zugeklebt. Nach „Gebrauch“ wischt der Schwarzfahrer die Stempelfarbe ab und freut sich auf eine weitere Gratisfahrt mit dem Bus.
Gezielt Jagd auf Schwarzfahrer machen Achim Mariak, Michael Stahn und die Bogestra trotzdem nicht. „Das besorgen die Fahrscheinprüfer bei den Schwerpunktkontrollen achtmal im Jahr“, erklären die beiden. Die Schwarzfahrerquote der Bogestra liegt bei unter einem Prozent.
Stahn und Mariak waren längere Zeit arbeitssuchend. Sie haben 2008 über eine Umschulung Arbeit als Kundenbegleiter der Bogestra gefunden. Stahn ist gelernter Bau- und Kunstglaser, der vormals bei Flachglas in Rotthausen, heute Pilkington, gearbeitet hat. Sein Kollege Achim Mariak ist Lehrer für Mathematik und Geografie. Ein Einstellungsstopp hat ihn seinerzeit auf der Stelle treten lassen.
Die Bogestra geht übrigens wieder zurück zum Kundenverkauf. In den neuen Variobahnen können Tickets – wie auch in den Bussen – wieder vorn beim Fahrer gekauft werden, in älteren Bahnen nur an einem Automaten im Wagen.