Gelsenkirchen. Zwar fremdelten die Gäste im Oktober noch mit jecker Kleidung, gefeiert wurde aber dennoch karnevalistisch gut gelaunt der 60. des Festkomitees.
„Lebe, liebe, lache, so wie’s dir gefällt“, forderte der Knappenchor von Consolidation die Festgäste im Hans-Sachs-Haus auf. In Gelsenkirchens schönster Stube genossen die Narren ein Wiedersehen mit geliebten Traditionen. Das Festkomitee Gelsenkirchener Karneval hatte zum 60. Geburtstag geladen.
Es ist Oktober, und da fremdeln die Jecken noch. So verirrten sich nur vereinzelte Narrenkappenträger in der festlich gekleideten Menge. Dass die Gesellschaft gemeinsam mit dem Knappenchor das Steigerlied sang, sollte die gemeinsame Tradition deutlich machen. Präsident Gerd Schwenzfeier, seit 20 Jahren an der Spitze, erinnerte an frühere Narrenspektakel, an Weiberfastnacht und Rathausstürme. Er hätte nach der vergangenen Vorstellung nie geglaubt, jemals wieder im Hans-Sachs-Haus feiern zu können, im Wohnzimmer des Oberbürgermeisters. Der ist dem Karneval zugetan, mischt sich häufig bei Sitzungen unter die Gäste. Er attestierte dem Festkomitee, den Karneval in der ganzen Stadt fest etabliert und sichtbar gemacht zu haben. Er sieht den Karneval als integratives Fest, der Alt und Jung, Neubürger wie auch Alteingesessene verbindet: „Standesdünkel hat hier keinen Platz. Das Festkomitee hat Großartiges für die Brauchtumspflege in der Stadt geleistet.“ Als Geburtstagsgeschenk servierte er den Gästen eine Torte, die auf mehr als einem Quadratmeter süße Verführung bot.
Musikalische Grüße aus dem Salzkammergut überbrachte MiR-Solistin Alfia Kamalova. Passend zur verträumten Operettenwelt zeigte sich die charmante Sopranistin im rot bestickten schwarzen Dirndl. Frech, kess und voll klanglicher Schönheit interpretierte sie die Juliska aus Budapest. Dass sie auch im Musical zu Hause ist, war bei „I feel pretty“ aus der West Side Story wie auch bei „Memory“ aus Cats zu spüren.
Das vermeintliche Dickerchen entpuppte sich als durchtrainierter Turner
Dem Präsidenten des Bundes Ruhr Karneval, Peter Niemann, verzieh Sitzungspräsident Gerd Schweinsberg, dass er in Dortmund lebe, wo man Fußball noch lernen müsse. Der Funktionär, der in Gelsenkirchen Herzblut spüre und sich hier zu Hause fühle, überreichte einen Erinnerungsteller.
Einen angenehm verrückten Künstler hatten die Narren mit Georg Leiste auf die Bühne gebeten. Das vermeintliche Dickerchen entpuppte sich schnell als durchtrainierter und gewandter Turner, der selbst auf dem Kleiderständer einen Handstand mit einer Hand fabrizierte und eine Ukulele sicher auf der Nase platzierte. Mit verdrehten Augen und verzerrtem Gesicht parodierte er Rigoletto-Arien. Schließlich gelang ihm auch der Balanceakt auf einem Seil, das von vier Männern aus dem Publikum gehalten und gespannt wurde.
Beachtliche stimmliche Höhen erreichte Sänger Oliver vom Trio Showtime-Company. Besonders ruhig wurde es im Saal, wenn der Interpret mit sanfter Stimme in die Gefühlswelt der Gäste drang. Auf nostalgische Fahrt in die letzten Jahrzehnte nahm Jürgen Weber die Besucher mit. Über Dean Martin, Elvis Presley, Frank Sinatra bis Drafi Deutscher gab’s zum Abschluss reichlich Gelegenheit, über Vergangenes zu schwärmen und mitzusingen.
Erler Funken, Bismarcker Funken und Piccolo sind heute noch dabei
Sitzungspräsident Hans-Georg Schweinsberg erinnerte an die Anfänge des Festkomitees. Am 23. September 1955 hatten sich Narren im Schützenhaus in Erle getroffen und den Festausschuss Groß Gelsenkirchener Karneval gegründet. Treibende Kraft für die Aktivitäten der Jecken sei das städtische Amt für Wirtschaftsförderung gewesen.
KarnevalDie Gründungsgesellschaften Erler Funken, Bismarcker Funken und Piccolo sind heute noch dabei. „Damals“, erinnert sich Schweinsberg, „residierten noch Prinzenpaare auf beiden Seiten des Kanals.“ 1970 waren 100.000 Jecken auf der Straße, als zum ersten Mal ein gemeinsamer Rosenmontagszug stattfand. Schweinsberg: „Wenn wir uns nicht zusammen geschlossen hätten, hätte die Stadt uns keine Finanzspritze gegeben.“ Nach der Schließung des Hans-Sachs-Hauses fand die Fete an Weiberfastnacht im Zelt auf dem Hauptmarkt statt, danach auf dem Wildenbruchplatz. Erst 2004 startete die erste Sause auf der Königswiese, dort, wo die närrischen Weiber auch heute noch ausgelassen feiern.