Gelsenkirchen. . In Gelsenkirchen gibt es ein effektives Netzwerk, das werdende Eltern über Risiken und Vorsorgeangebote aufklärt. Doch die Säuglingssterblichkeit bleibt hoch.

Gelsenkirchen belegt weiterhin den traurigen ersten Platz bei der Säuglingssterblichkeit in NRW. 7,9 von 1000 Lebendgeborenen Jungen und Mädchen starben 2013 – so die aktuellsten Zahlen der Landesstatistiker – im Lauf des ersten Lebensjahres, die meisten im ersten Lebensmonat. NRW-weit waren es in dem Jahr 3,8 Promille. Wobei das Land NRW im Bundesvergleich auf dem zweitschlechtesten Rang hinter dem Saarland liegt.

Gleichzeitig hat Gelsenkirchen ein anerkannt gutes System, um Säuglingssterblichkeit entgegenzuwirken. Die Zahl der vor dem ersten Geburtstag verstorbenen Säuglinge hat sich tatsächlich stark verringert, seit das Netzwerk „GEsunder Start ins Leben“ mit verschiedensten Maßnahmen werdende und junge Eltern unterstützt.

Viele Faktoren können zu Frühgeburten führen

„Babykino“ – manche Mutter nutzt das Vorsorge-Angebot per Ultraschall häufiger als medizinisch notwendig. Verheerende Folgen kann jedoch ein völliges Ignorieren aller Vorsorgeangebote haben. Sowohl vor als auch nach der Geburt, erklärt Chefarzt Dr. Joachim Neuerburg von den Evangelischen Kliniken.
„Babykino“ – manche Mutter nutzt das Vorsorge-Angebot per Ultraschall häufiger als medizinisch notwendig. Verheerende Folgen kann jedoch ein völliges Ignorieren aller Vorsorgeangebote haben. Sowohl vor als auch nach der Geburt, erklärt Chefarzt Dr. Joachim Neuerburg von den Evangelischen Kliniken. © Michael Korte

Dass ein lebend geborener Säugling stirbt, kann viele Gründe haben. Sehr viele haben mit den Lebensumständen in den Familien zu tun, wie zahlreiche Studien belegen. Dr. Joachim Neuerburg, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe: „Rauchen und Alkohol in der Schwangerschaft, das Versäumen von Vorsorgeuntersuchungen, bei denen Fehlentwicklungen rechtzeitig entdeckt werden könnten, extremer Stress, mangelnde Genitalhygiene – all dies sind Faktoren, die zu Frühgeburten führen können.“ Und so die spätere Lebensfähigkeit beeinflussen können.

Kinder sind oft schwer für Impfungen zu erreichen

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Häufig gehen all diese Faktoren mit Armut und/oder geringer Bildung, also wenig Wissen über Schwangerschaft und Kindesentwicklung einher. Der Zusammenhang zwischen Frühgeburt und Säuglingssterblichkeit ist nachgewiesen. Auch die Rate der Frühgeburten ist in Gelsenkirchen deutlich höher als im Landesschnitt, betont Dr. Frank Niemann, leitender Neonatologe an der Kinder- und Jugendklinik am Bergmannsheil in Buer. Und: „Es ist oft schwer, Eltern klar zu machen, wie wichtig es ist, ihrem Nachwuchs ein verordnetes Medikament zuverlässig zu verabreichen.“ Oft ist dies auch ein Sprachproblem, etwa bei EU-Zuwanderern. „Es ist schwer, die Kinder zu erreichen, auch für Impfungen, obwohl die Stadt die Kosten bei nichtversicherten Kindern übernimmt“, bedauert er.

Dr. Marcus Lutz, Chefarzt der Klinik für Neonatologie am Marienhospital, versucht wie seine Kollegen, junge Eltern von der Bedeutung der Vorsorgeuntersuchungen bei Mutter und Kind sowie des Stillens für die Gesundheit des Kindes zu überzeugen. Doch selbst der Hinweis auf die Entlastung für den Geldbeutel
Dr. Marcus Lutz, Chefarzt der Klinik für Neonatologie am Marienhospital, versucht wie seine Kollegen, junge Eltern von der Bedeutung der Vorsorgeuntersuchungen bei Mutter und Kind sowie des Stillens für die Gesundheit des Kindes zu überzeugen. Doch selbst der Hinweis auf die Entlastung für den Geldbeutel © WAZ

„Stillen ist sogar preiswerter. Gesünder ist es sowieso."

Dr. Marcus Lutz, Chefarzt der Klink für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin am Marienhospital Ückendorf, hat die gleichen Erfahrungen gemacht. „Vermehrte Frühgeburten, nicht genutzte Vorsorgeuntersuchungen: All das begegnet uns hier auch. Und es werden nicht weniger Fälle, gerade in unserem Einzugsbereich.“ Zudem kommt Stillen über die Zeit in der Klinik hinaus für viele heute nicht mehr in Frage. „Dabei ist das nicht nur viel gesünder, sondern auch preiswerter.“

Netzwerk „GEsunder Start ins Leben“ vom Land ausgezeichnet

Ärzte aller vier Kliniken vor Ort, in denen Kinder geboren bzw. im ersten Lebensjahr behandelt werden, attestieren der Stadt Gelsenkirchen eine optimale Unterstützung und effektive Hilfsangebote. Im Netzwerk „GEsunder Start ins Leben“ arbeiten niedergelassene Ärzte, Kliniken, Gesundheitsamt und Familienhebammen zusammen, Angelika Rasseck, Leiterin der Gesundheitskonferenz Gelsenkirchen, koordiniert die Arbeit, die bereits vom Land ausgezeichnet und seither laufend ausgebaut wird. In Kürze steht eine weitere Fortbildung an.

Sechs Familienhebammen suchen werdende und junge Eltern daheim auf und klären auf, über die Gefahren von Rauchen und Alkohol in der Schwangerschaft und gesunde Ernährung und die Bedeutung der Vorsorgeuntersuchungen für Mutter und Kind. Einkommensschwache Frauen bekommen Medikamente gegen Vaginalinfektionen bei Gynäkologen gratis, um das Risiko von Frühgeburten zu verringern. Nach der Geburt gibt es Gratis-Babyschlafsäcke, um ein Risiko für den plötzlichen Kindstod auszuschalten (Schlafen in Bauchlage) . Im „Mimi“-Programm unterstützen und beraten von Stadt und Verbänden ausgebildete Migranten neu zugewanderte bzw. unerfahrene Landsleute in Gesundheitsfragen.