Gelsenkirchen. Carlo Philippi hat an der Spitze von BP gearbeitet. In Sichtweite in Scholven ist er nun im dritten Jahr Burgherr auf Lüttinghof – und durchläuft „eine große Lernkurve“.

Eigentlich ist Karl-Heinz Philippi, den alle Welt Carlo nennt, nicht weit gekommen in seinem bisherigen Leben. Rein räumlich, versteht sich. Rund um die Burg Lüttinghof hat er als Knirps gespielt, in der Nähe ist er aufgewachsen. Keinen Kilometer entfernt erhebt sich die Chemie-Kulisse über den üppigen Grüngürtel. Dort, bei BP, hat Philippi gearbeitet. Zwölf Jahre stand er zuletzt an der Spitze der Raffinerie in Scholven.

2011, mit 56, zog er dort einen Schlussstrich, um wenig später eine weitere Karriere anzuschieben: Der einstige „Ölbaron“ wurde Burgherr, ist als Gastronom auf Lüttinghof im Geschäft, versucht seither, das Haus als „Die Burg im Wasser“ zu positionieren – mit Eventgastronomie, mit Firmenmeetings, Feiern, Tagungen, Kultur. Zudem ist er als Ein-Mann-Beratungsfirma unterwegs, gerne auch wieder in alten Gefilden. Seine früheren Branchen-Kontakte, stellt er fest, sind noch gefragt.

Eine Szene mit kreativen Leuten

Dort bewegt sich Phillippi auf altvertrautem Terrain. Andere Gebiete musste er sich erschließen, auch Lehrgeld zahlen. 2012 übernahm er die Wasserburg, für ihn „eine Reise in eine völlig neue Welt“. Nach anderthalb Jahren Leerstand und wechselndem Betreiber-Erfolg zuvor trat Philippi an, dem alten Gemäuer neues Leben einzuhauchen. Seine Ursprungsidee: Die Sache anschieben, ans Laufen bringen, sich dann aus der ersten Reihe zurückziehen. Die Bilanz nach den ersten Jahren: Teil eins und zwei des Plans haben geklappt – aber Philippi steckt noch mittendrin in seinem neuen Leben als Gastronom und Kleinunternehmer. „Man durchläuft eine große Lernkurve“, sagt er. „Aber man hat den Vorteil, in eine Szene hereinzuspringen, wo es sehr viele junge kreative Leute gibt. Das macht eine Menge Lust und Freude.“ 65 Veranstaltungen im Jahr laufen heuer auf der Burg. „Das ist schon eine ganze Menge“, findet Philippi. Aber eben auch ausbaufähig. Der Kultursommer Anfang August ist die nächste große Veranstaltung – und Herausforderung.

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Für sein Projekt, weiß er, „muss ich keinem Rechenschaft ablegen. Das kann ich alleine verantworten und auch finanzieren“. Dass er bislang oft draufzahlt, ist ihm durchaus bewusst. „Aber ich habe eben auch das Gefühl: Wenn ich das jetzt aufgebe mit der Burg, dann wird die dicht gemacht. Ich will eine professionelle Basis schaffen, auch für meine fünf, sechs Leute, die ich an das Projekt gebunden habe.“

"Muss sich auch emotional trennen"

Die direkte Verantwortlichkeit, die er jetzt spürt, das sei schon anders als zu BP-Zeiten, sagt Philippi. „In einem Kleinunternehmen ist man immer näher am Geschehen als in einem Konzern, man ist aber auch abhängiger vom einzelnen Mitarbeiter.“

Seine Berufsvergangenheit liegt dennoch nah, halt in Sichtweite. „Doch man muss sich auch emotional trennen, das habe ich auch getan.“ Aber manchmal schießt eben auch das Öl ins Blut. Wie beim Störfall vor wenigen Wochen, „Da überlegst du gleich, ist der Hydrockracker betroffen, die Olefinanlage 3, die 4? Da sehe ich schon am Fackelbild, wie viel Geld die gerade verloren haben“. Und dazu kommt der kurze Moment der Irritation: „Es schellt kein Telefon.“ Die Verantwortung haben jetzt andere.

„Ich produziere halt gerne Ideen“

Dass die Burg ihm viel Arbeit bescheren würde, sagt Carlo Philippi, „war mir klar, aber ich habe nicht gedacht, dass ich so eingebunden bin und im dritten Jahr Full Power gebe.“ Der alte Manager steckt noch tief in ihm drin. „Manchmal erwische ich mich, dass ich sehr in alte Muster verfalle und alles optimieren, perfektionieren will.“ Die Leine loszulassen, gesteht der 60-Jährige, damit „habe ich anfangs meine Probleme gehabt.“

Dafür, dass sie immer mal wieder angezogen wird, sorgt der Vater von drei Söhnen wiederum selbst. „Ich produziere halt gerne Ideen“. Und so denkt er an fliegende Büffets für Firmen, die künftig von der Burg aus gastronomisch betreut werden, an eine Kochakademie, an Kochen als Firmenevent, an vegane und vegetarische, an Bio-Gerichte. Die Küche im Haus hat er schon entsprechend erweitern lassen. Mit Andrew-John Hotz und Dagmara Dittfort hat er dafür zudem einen hochkarätigen Koch und eine Bäckerin an „Bord“, die seine kulinarischen Konzepte tragen.

Sitzgarnituren aus Lärchenholz im Kuchengarten

Auch die Kultur treibt Philippi weiter um. Sein Herzensanliegen. „Gelsenkirchen hat einen schlechten Ruf. Es macht Sinn und hat Wert, für die Dinge hier zu kämpfen. Dazu soll auch das Kulturthema mit Klassik, Jazz und Kino auf Lüttinghof dienen.“

Und dann ist da noch sein jüngstes „Kind“. Nein, nicht der riesige Grillofen, den er hat bauen lassen und liebevoll „Emma“ getauft hat, sondern der Kuchengarten jenseits des Wassergrabens. Sonntags ist er geöffnet, von 11 bis 18 Uhr. Die Sitzgarnituren aus Lärchenholz hat Philippi mit gezimmert. „Die Leute nehmen es sehr gut an“, freut er sich. Und an manchem Sonntag schließt sich der Familienkreis. In Polsum ist Philippi aufgewachsen. Seine Eltern, mittlerweile 89 und 84 Jahre alt, sind nun gerne seine Burg-Gäste im Kuchengarten.