Gelsenkirchen. Offenbar gibt es neue Beweise im Gelsenkirchener Jugendamtsskandal. Oberbürgermeister Frank Baranowski will weitere juristische Schritte einleiten.

Im Zusammenhang mit dem Gelsenkirchener Jugendamtsskandal ist neues, belastendes Material aufgetaucht: Der seit dem 1. Mai suspendierte Jugendamtsleiter Alfons Wissmann soll in einer Email an das Kinder- und Jugendheim im ungarischen Pecs, das der Neustart kft gehörte, am 11. Juli 2005 konkrete Anweisungen an die dortigen Mitarbeiter gegeben haben.

Diese Mail liegt der WDR-Doku-Redaktion „die story“ vor, die am Sonntagabend in der Sendung Westpol berichtet. In besagter Email habe Wissmann geschrieben: „Die Arbeit wird neu verteilt.“ Im Namen der Gesellschafterversammlung von Neustart soll Wissmann auch den Tagesablauf im Heim strukturiert und seine Anweisung mit den Worten unterstrichen haben: „Das ist keine Bitte, sondern eine Anordnung und ist zu befolgen. (…) Ich erwarte nun täglich eine Mail von Neustart bezüglich der Tagesstruktur.“

Oberbürgermeister Baranowski reagierte betroffen

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Wissmann hatte allerdings längst schriftlich versichert, zum 1. April 2005 seine Tätigkeit als Geschäftsführer bei Neustart einzustellen und die Gesellschaftsanteile an der Firma abzutreten.

Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) reagierte betroffen, als er vom WDR mit dem Inhalt der Mail konfrontiert wurde. Dies sei für ihn jetzt der Punkt, weitere juristische Schritte einzuleiten. Eine Verdachtskündigung des bisher nur freigestellten Jugendamtsleiters ist demnach nicht auszuschließen.

"Wir sind offenbar gezielt getäuscht und hintergangen worden", erklärt Baranowski am Sonntagabend, unmittelbar nachdem die WDR-Sendungen "Aktuelle Stunde" und "Westpol" neues belastendes Material gezeigt haben. "Besonders schwer wiegt für mich der Vertrauensbruch, nachdem die betroffenen Führungskräfte schriftlich versichert haben, ihre Tätigkeiten eingestellt zu haben", sagte Baranowski.

Im Heim soll es drunter und drüber gegangen sein 

Nach WDR-Informationen zeige die Mail auch deutlich, dass es in dem ungarischen Heim offenbar drunter und drüber gegangen sein muss. Wissmann schrieb: „Wir haben den Eindruck gewonnen, dass ihr den Jugendlichen zu viel Freiraum lasst und die Jugendlichen mittlerweile das Sagen in unserem Haus haben.“ Deutlich wurde wohl auch, dass er sich zu diesem Zeitpunkt auch um die Finanzen der Neustart kft kümmerte, die das Heim betrieb.

"Diese uns jetzt gezeigten Dokumente wiegen schwer. Der Verdacht auf gravierende Pflichtverletzungen hat nun neue Nahrung bekommen. Auf diese Zuspitzung werden wir nun konsequent reagieren. Dazu gehört es, die betroffenen Mitarbeiter zunächst mit den neuen Verdachtsmomenten zu konfrontieren. Das wird jetzt unverzüglich passieren. Die weiteren Schritte hängen vom Inhalt ihrer Stellungnahmen ab.

CDU sieht auch Dienstaussicht des OB in Kritik

Gelsenkirchens OB kündigte am Sonntag an, die Untersuchungen im Bereich des Jugendamtes und aller denkbaren Geschäftsbeziehungen der Stadt Gelsenkirchen, auf die beide Mitarbeiter Einfluss hatten, würden weiter mit aller gebotenen Sorgfalt vorangetrieben. Für die Stadt gelte dabei nach wie vor die Devise, "erst aufklären, dann bewerten!" Die beiden Mitarbeiter "können nicht mehr in Dienstgeschäfte eingreifen". Erfreulich sei, dass der Kinderschutzbund umfassende Kooperation zugesagt habe, erklärte Baranowski: "Vielleicht können wir dadurch in den kommenden Tagen unsere Erkenntnisse deutlich erweitern."

CDU-Fraktionschef Wolfgang Heinberg zeigte sich ebenfalls erschüttert. „Jetzt müssen alle notwendigen juristischen Schritte gegen Wissmann und Frings eingeleitet werden. Das ist die Stadt auch den Mitarbeitern des Jugendamts schuldig“, sagte er zur WAZ. Er frage auch nach der Rolle von Dr. Beck, der Personalverwaltung „und am Ende des Tages auch nach der des Oberbürgermeisters in Sachen Dienst- und Fachaufsicht“.

Für die Grünen konstatierte Fraktionschef Peter Tertocha: „Mich überrascht in diesem Sumpf langsam nichts mehr.“ Er fordert „ganz schnell arbeitsrechtliche Schritte“ und sieht die Grünen in ihrem Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses bestätigt. Die SPD-Fraktion, so deren Vize Dr. Günter Pruin, sehe sich darin bestätigt, „dass der Jugendamtsleiter und sein Stellvertreter nicht mehr zu halten sind.