Gelsenkirchen. Seit der Ausstrahlung des Monitor-Berichts über dubiose Geschäftspraktiken der Jugendamtsspitze laufen in Gelsenkirchen die Nachforschungen auf Hochtouren.

Seit dem Abend des 30. April, seit Monitor-Reporter über dubiose Geschäftspraktiken bei der Vermittlung von Jugendlichen für intensivpädagogische Maßnahmen ins Ausland berichteten, stehen in Gelsenkirchen zwei Namen im Fokus der Öffentlichkeit: Jugendamtsleiter Alfons Wissmann und sein Stellvertreter Thomas Frings, beide seit dem 1. Mai freigestellt. Eine Chronologie der Ereignisse.

Die Bombe platzt

Das ARD-Magazin Monitor deckte auf, dass Alfons Wissmann und sein Vize 2004 in Ungarn die Neustart kft gegründet hatten, um Kinder in einem Heim in Pecs in Trägerschaft von Neustart betreuen zu lassen. 5500 Euro pro Monat und Kind sollen dafür an Neustart geflossen sein. Außerdem soll es eine Abmachung zwischen der Firma des Jugendamtsleiter-Duos und dem Kinderheim St. Josef der St. Augustinus GmbH gegeben haben. Das Heim soll gezielt überbelegt, dadurch die Einnahmen erhöht und im Gegenzug Kinder in die Neustart-Einrichtung in Pecs vermittelt worden sein. Die Kinder sollen allerdings, so ein ehemaliger Mitarbeiter im Beitrag, nicht nach einem pädagogischen Konzept betreut worden sein. Was ein Jugendlicher bestätigte.

Erste Konsequenzen

Erste Amtshandlung von Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) am Morgen des 1. Mai: Er stellt Wissmann und Frings mit sofortiger Wirkung vom Dienst frei. SPD, CDU und Grüne fordern in ersten Stellungnahmen eine lückenlose Aufklärung; die Grünen gehen noch einen Schritt weiter, wollen eine Art kommunalen Untersuchungsausschuss.

Amtsleiter bestreitet Vorwurf

Alfons Wissmann, Thomas Frings und die St. Augustinus GmbH bestreiten in Stellungnahmen, mit Kindern Kasse gemacht zu haben. Die genehmigte Nebentätigkeit, so Wissmann in seinem Schreiben, habe er nach einem Gespräch mit dem Vorgesetzten im März 2005 zurück gegeben, aber auch mitgeteilt, dass er und Frings Vermieter des Heims in Pecs bleiben würden. Wissmann hat seinen Gesellschafteranteil seiner Frau, Frings seinem Bruder übertragen. OB Baranowski lädt zu einer Sondersitzung des Hauptausschusses am 4. Mai ein.

Sondersitzung zur Sache

In der Sondersitzung wird deutlich: Kinder aus Gelsenkirchen wurden nicht in das Heim in Pecs vermittelt. Es gab auch keine Zahlungen der Stadt an Neustart. Ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen prüft im Auftrag der Stadt alle Verflechtungen. Im nicht öffentlichen Teil wird dann bekannt: Wissmann hat bei seinem Antrag auf Genehmigung der Nebentätigkeit bei Dezernent Dr. Manfred Beck (Grüne) wohl nicht alle Karten auf den Tisch gelegt. Erst der ausführliche Antrag von Frings deckte den Interessenskonflikt auf, was zur Rücknahme der Genehmigung führte. Viele Fragen blieben an diesem 4. Mai noch unbeantwortet.

Die Rolle des St. Josef-Heims

Die St. Augustinus GmbH reduziert sich in der Sondersitzung auf die Verlesung einer bekannten Stellungnahme. Aber: St. Josef war der Neustart-Partner, wie ein Flyer eindeutig dokumentiert, hat geholfen, Kinder ins Neustart-Heim ins ungarische Pecs zu vermitteln. Ansprechpartnerin: die Leiterin des St.-Josef-Heims, Anja Gersch. Die St. Augustinus GmbH hat Gersch am Mittwoch bis auf weiteres von ihrer Leitungsarbeit entbunden.

Rücktritt gefordert

Die FDP fordert am 6. Mai den Rücktritt von Stadtrat Dr. Manfred Beck. Die Staatsanwaltschaft nimmt nach einer Strafanzeige der Grünen gegen Unbekannt die Ermittlungen auf. Die CDU gibt dem ganzen Skandal einen Namen und spricht von der „Pecs-Connection“. Und die Stadt storniert die geplanten Ferienfreizeiten auf dem Reiterhof Tekeres unweit von Pecs. Der Grund: Zwei Wohnungen auf der ungarischen Anlage sind in deutschem Privatbesitz ...

Der Kinderschutzbund

Der Gelsenkirchener Ortsverband des Deutschen Kinderschutzbundes gerät in ein ganz schiefes Licht, denn: Der stellvertretende Vorsitzende Thomas Frings hat dafür gesorgt, dass der DKSB die Buchhaltung für Neustart kft ausführt. 5 Euro pro Tag und Jugendlichem flossen dafür auf das Kinderschutzbund-Konto. Frings lässt sein Amt seit dieser Woche lediglich ruhen. Zur außerordentlichen Wahl eines komplett neuen DKSB-Vorstands kam es am Donnerstagabend nicht. Die Stadt prüft inzwischen sämtliche Geldflüsse auch für andere DKSB-Leistungen.

Es bleibt noch viel zu tun!