Gelsenkirchen. Aus nächster Nähe gab der 64-Jährige Schüsse auf seine Chefin und ihre Schwester ab. Beide überlebten knapp. Vor Gericht schweigt der Angeklagte.
Sie ist realistisch. „Zehntausend Schutzengel“, so schätzt die 51-Jährige, hätten ihr wohl am 12. Juli vergangenen Jahres auf ihrem Reiterhof zur Seite gestanden. Denn es grenzt tatsächlich an ein Wunder, dass Claudia B. und ihre Zwillingsschwester die Bauchschüsse aus nächster Nähe überlebten. Seit Donnerstag muss sich der 64 Jahre alte Edgar T. aus Oberhausen vor dem Essener Schwurgericht verantworten.
Erklären kann sich diese Tat aus heiterem Himmel bislang noch niemand. Der Schütze auf der Anklagebank, ein eher schmächtiger, gepflegt wirkender Mann, könnte weiterhelfen, könnte den Opfern die Ungewissheit nehmen. Aber Edgar T. schweigt zu den Vorwürfen, die Staatsanwalt Gabriel Wais gegen ihn erhebt. Versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung wirft der Ankläger dem Mann aus dem Oberhausener Stadtteil Osterfeld vor. Heimtückisch habe er auf die arg- und wehrlose Frau geschossen.
Angeklagtem drohte die Zwangsräumung
Seit vielen Jahren kennen Täter und Opfer sich. Zuletzt hatte die 51 Jahre alte Gelsenkirchenerin, die schon in vielen Branchen aktiv war und den Oberhausener im Immobiliengeschäft beschäftigt hatte, in der Nähe der Gelsenkirchener Trabrennbahn einen Reitpark aufgebaut. „Gut Nienhausen“ nannte sie das aus Fachwerkhäusern gebildete Ensemble, das sie 2011 erworben hatte. Mit Botengängen beschäftigte sie ihn dort, ließ den 64-Jährigen, der sich ihr als Stahlbetoningenieur vorgestellt hatte, kleinere Bauprojekte auf dem Gut leiten.
Auch interessant
Die Anklage sagt, dass das Verhältnis der beiden seit Ende 2003 nicht mehr ungetrübt gewesen sei. Hintergrund könnten seine Wohnungsprobleme in Osterfeld gewesen sein, weil ihm nach dem Tod seiner Mutter, mit der er zusammengelebt hatte, die Zwangsräumung drohte. Seiner Bitte, auf dem Hof in Feldmark einzuziehen, hatte Claudia B. nicht entsprochen. Sie fürchtete wohl sein langjähriges Alkoholproblem.
Nichts deutete am Tattag darauf hin, in welcher Verfassung sich Edgar T. befand. Nach einem Streit hatte er Claudia B. um ein klärendes Gespräch gebeten. Doch sie gab Reitstunden für Kinder, die sie nicht allein lassen durfte.
Waffenarsenal in der Wohnung gefunden
Als sie über den Hof ging, stoppte Edgar T. sie mit der Waffe in der Hand. „Du wirst Deine Träume nicht mehr erleben.“ Dann schoss er ihr in den Bauch. Sie hielt die Hände über die Wunde, er schoss ein zweites Mal, verletzte sie wieder, diesmal am Finger. „Edgar, wir sind doch Freunde“, rief sie, bevor sie zusammensackte.
Als mehrere Kinder und Erwachsene näher rückten, wehrte er sie ab: „Macht euch weg!“ Dass die Schwester der Angeschossenen auftauchte, veranlasste ihn zu einem Schuss in deren Bauch. Erst als beide am Boden lagen, ließ er ab, setzte sich ins Auto und fuhr weg.
Später hatte der so schweigsame Angeklagte sich widerstandslos festnehmen lassen. In seiner Wohnung entdeckte die Polizei ein ganzes Waffenarsenal. Dass aber auch im Keller hunderte von Patronen und Waffen lagen, entdeckte erst der Nachmieter beim Aufräumen.