Gelsenkirchen. . Ein inhaftierter Vater will 2015 mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Was sich andere Gefangene der JVA Gelsenkirchen wünschen, lesen Sie hier.

Carola Müller (49, Name geändert) hat schon zwölf Mal den Jahreswechsel hinter Gittern verbracht. Nicht als Diensthabende, sondern als Gefangene. Doch dieses Jahr war ein Besonderes für sie, es hat sich vieles verändert: Sie hat Hoffnung, 2015 in den offenen Vollzug wechseln zu können. Ihr großes Glück: die Familie hat ihr all die Jahre die Treue gehalten. Die drei erwachsenen Kinder, die ihr mittlerweile acht Enkel beschert haben, und auch die Eltern stehen weiterhin zu ihr. Die Eltern hat sie gerade erst besucht. „Vielleicht darf ich das bald sogar ohne Begleitung! Es war ein sehr stressiges Jahr. Aber es hat mir sehr weitergeholfen.“ Sie atmet tief durch. „Ich habe viel über mich nachgedacht.“

Carola Müller hat in der Haft eine Therapie gemacht. Um mehr über sich zu erfahren, um sich auf draußen vorzubereiten. „Und in den Therapien werden auch die Anteile in der Persönlichkeit gezielt besprochen, die für die jeweilige Straftat verantwortlich sind,“ erklärt der Leiter der Justizvollzugsanstalt in der Feldmark, Carsten Heim.

Sich in der Haft weiterentwickelt

Was genau ihre Straftat war, die ihr eine Verurteilung zu 15 Jahren Haft eingebracht hat, mag Carola Müller nicht sagen. Dass sie etwas Schlimmes getan hat – bei 15 Jahren Strafmaß kann es keine Bagatelle sein – ist schwer vorstellbar. Aber sie blickt nach vorn, hat sich weiterentwickelt. Denkt über eine Ausbildung im offenen Vollzug nach, im geschlossenen ist das in Gelsenkirchen nicht möglich. Und was sie gelernt hat, was ihr besonders wichtig ist: „Ich möchte soviel Zeit wie möglich mit meiner Familie, mit den Enkeln verbringen. Das ist so wichtig. Aber ich habe Hoffnung. Ich bin ein positiver Mensch. “

Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen erzählen  von ihrer Zeit im Gefängnis und ihren Hoffnungen für das neue Jahr 2015.
Inhaftierte der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen erzählen von ihrer Zeit im Gefängnis und ihren Hoffnungen für das neue Jahr 2015. © WAZ

Familie – bei dem Wort zuckt Carsten Deuß (35) sichtbar zusammen. Er sitzt seit 2009 in Haft, seine Tochter ist heute sechs Jahre, sein Sohn fünf Jahre alt. Die Tochter will in der Schule nicht lesen lernen, „weil der Papi gesagt hat, er lernt mit mir. Und jetzt ist der Papi nicht da.“ Das tut weh, denn er kann ja jetzt nichts daran ändern. Er kann sich ändern, Verantwortung übernehmen, daran habe er auch gearbeitet. Aber dadurch kann er trotzdem nicht jetzt für seine Tochter da sein.

Und dann ist da noch sein Vater. Der schwerkranke 58-Jährige wird bald sterben. Und Deuß wird ihn nicht besuchen. Nicht nur, weil er nicht darf, das ließe sich eventuell bewerkstelligen. Aber der Familie wäre es nicht recht und auch er möchte den Todkranken nicht erschrecken. „Für ihn wäre klar: Wenn mein Sohn aus der Haftanstalt kommt, dann sterbe ich jetzt.“

Was Carsten Deuß sich vom neuen Jahr erhofft? „Hoffnung ist hier ein komisches Wort, weil ja andere über mich entscheiden. Ich versuche, meine Hoffnungen zurückzuschrauben. Die können so leicht enttäuscht werden. Natürlich hoffe ich, dass sich 2015 etwas ändert, ich in den offenen Vollzug wechseln kann.“

Fernstudium in der Haft begonnen

Deuß hat in der Haft ein Fernstudium in Informatik begonnen. Vor der Haft hat er selbstständig als EDV-Fachmann gearbeitet, allerdings ohne Ausbildung. Eigentlich lautete sein Urteil auf sieben Jahre und elf Monate. Wegen Betrugs mit Handyverträgen. Im Gefängnis gehört Carsten Deuß damit eher zu den Guten. Gewalt- und Sexualverbrecher sind hier schlecht angesehen, und wer Kindern etwas angetan hat, hat einen besonders schweren Stand.

Mit Bildern den Kontakt zu den kleinen Kindern halten

Auch Svenja Bauer (32, Name von der Redaktion geändert) mag nicht sagen, warum sie in Haft ist. Seit 2012 sitzt sie in der Feldmark ein, bis Februar 2017 soll sie entsprechend ihrem Urteil bleiben. Ihre beiden großen Kinder – 10 und 11 Jahre – leben bei ihrem Ex-Mann. Die Zehnjährige besucht sie, die Älteste mag nicht ins Gefängnis kommen. Die beiden kleinen Kinder leben in einer Pflegefamilie. Ob sie die Kleinen nach der Haft zurückbekommt: Svenja Bauer weiß es nicht.

Feiern mit Thunfischsalat und Torte

Aber sie bleibt in Kontakt mit ihnen, mit Briefen und Bildern, die hin und her gehen. Sie und Carola Müller helfen und stützen einander, kochen regelmäßig gemeinsam, teilen viele Interessen und arbeiten beide in der Gefangenenbücherei.

Svenja Bauer ist gelernte Einzelhandelskauffrau, einen Beruf hat sie also, wenn sie rauskommt. Hoffnungen, Wünsche für 2015: „Dass der nächste Vollzugsplan mir mehr Lockerungen bringt und ich dann noch mehr Familienzeit bekomme.“ Drei Stunden hat sie kürzlich ihre zehnjährige Tochter im Familienzimmer der JVA gesehen. Das ist schon richtig lange für Häftlinge. Aber natürlich nicht annähernd lange genug, um eine gute Beziehung zu pflegen.

Der Jahreswechsel wird in der Justizvollzugsanstalt übrigens wie ein ganz normales Wochenende begangen. Zu Weihnachten gibt es Gottesdienste und besonderes Essen, zum Jahreswechsel aber nicht. Sekt ist ebenso wie jeder andere Alkohol in der Justizvollzugsanstalt verboten. In den letzten Jahren war es eher ruhig zum Jahreswechsel, erinnert sich Anstaltsleiter Carsten Heim.

Carsten Deuß wird um Mitternacht aus dem Fenster den Raketen zuschauen, eine Cola und eine Zigarette genießen und dann schlafen gehen, sagt er. Carola Müller und Svenja Bauer wollen gemeinsam feiern. Da sie ohnehin in einer Wohngemeinschaft leben – wobei jede eine eigene Zelle hat, es aber gemeinsame Kochgelegenheiten gibt – wollen sie in einer Zelle nächtigen. Thunfischsalat und Torte soll es geben, ein bisschen Musik hören wollen sie, das neue Jahr begrüßen eben, von dem sie sich Manches erhoffen.