Gelsenkirchen/Bottrop/Marl. Bauern aus Gelsenkirchen, Bottrop und Marl sprechen Klartext: Sie kritisieren mangelnden Respekt von allen Seiten. Reformen seien „Schwachsinn“.

„Frust, Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit sitzen tief“, sagt Stephanie Koch und ihre Kollegen am Tisch nicken zustimmend. Acht Landwirte aus , Bottrop und Marl sind am Freitagmorgen im gemütlichen Reiterstübchen von Daniel Rohmann in Scholven zusammengekommen. Sie wollen miteinander ins Gespräch kommen, sich vernetzen und – nicht zuletzt – nach der großen Demonstration zu Wochenbeginn weitere Aktionen planen. Denn sie fühlen sich im Stich gelassen.

Wollen sich vernetzen: Die Landwirte Ansgar Tubes, Stephanie Koch, Klaus Drießen, Daniel Rohmann, Hubertus Hölscher und Josef Föcker (v.l.) sprechen auf dem Hof Rohmann über ihre Forderungen an die Agrarpolitik und lassen die Proteste der Woche Revue passieren.
Wollen sich vernetzen: Die Landwirte Ansgar Tubes, Stephanie Koch, Klaus Drießen, Daniel Rohmann, Hubertus Hölscher und Josef Föcker (v.l.) sprechen auf dem Hof Rohmann über ihre Forderungen an die Agrarpolitik und lassen die Proteste der Woche Revue passieren. © FUNKE Foto Services | Michael Korte


Wie tausende andere Landwirte kritisieren die Bauern am Tisch die aktuelle Agrarpolitik. Immer neue Richtlinien machten der gesamten Branche das Leben schwer, der Arbeitsalltag werde immer bürokratischer. Viele Vorgaben seien zudem fernab der Realität auf den Höfen: „Die Entscheidungen haben nichts mehr mit Tier- oder Pflanzenwohl zu tun“, sagt Koch. Lohnunternehmer Ansgar Tubes aus Bottrop fügt hinzu: „Wir haben in Deutschland die umweltfreundlichste und nachhaltigste Landwirtschaft weltweit.“ Dass trotzdem in immer kürzeren Intervallen immer strengere Auflagen beschlossen würden, grenzt für Hubertus Hölscher, Schweinebauer aus Resse, an „Schwachsinn“.

Kritik an „rein emotionalen“ Reformen

Statt schneller, „rein emotionaler“ Reformen wünschen sich die Anwesenden vor allem Planungssicherheit. Immer wieder hätten sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hohe sechs- oder sogar siebenstellige Summen investiert, in moderne Landmaschinen oder neue Ställe. So könnten sie etwa die Mengen an Dünger, die auf den Feldern landen, deutlich reduzieren und den Tieren luftigere Stallungen mit mehr Komfort bieten. Die Preise für Lebensmittel hingegen sind kaum gestiegen, der Handel diktiert die Konditionen, zu denen Milch, Fleisch, Obst und Gemüse abgenommen werden.


„Der Staat hat kein Interesse, dass Lebensmittel teurer werden“, folgert Klaus Drießen, Milchbauer aus Resse, und bezieht sich auf den niedrigeren Mehrwertsteuersatz. „Wenn in der Landwirtschaft die gleiche Preissteigerung wie im Non-Food-Bereich stattgefunden hätte, hätten wir alle ein ruhiges Leben“, ergänzt Hubertus Hölscher. Weil viele Verbraucher jedoch nicht bereit seien, höhere Preise für Lebensmittel zu zahlen, kämpfe die Branche schon jetzt. Immer neue Vorgaben umzusetzen sei für viele auch finanziell kaum möglich.

Sündenböcke in der Klimadebatte

Hell und luftig sind die Ställe von Klaus Drießen in Gelsenkirchen-Resse. Davon konnten sich WAZ-Leser bereits beim Rundgang überzeugen. Der Landwirt klagt über immer neue gesetzliche Vorgaben.
Hell und luftig sind die Ställe von Klaus Drießen in Gelsenkirchen-Resse. Davon konnten sich WAZ-Leser bereits beim Rundgang überzeugen. Der Landwirt klagt über immer neue gesetzliche Vorgaben. © FUNKE Foto Services | Michael Korte


Nicht nur von der Politik wünschen sich die Bauern mehr Verständnis. Auch aus der Bevölkerung fehlt es ihnen an Respekt – gerade in der aktuell hitzig geführten Klimadebatte seien Landwirte oft die Sündenböcke. Hölscher betont daher: „Nicht nur wir sind verantwortlich, alle müssen darüber nachdenken, wie sie etwas ändern können.“ Hubert Franzen, Schweinebauer aus Marl, fügt hinzu: „Wir leben nicht wie die Heuschrecken. Im Gegenteil. Wir denken in Generationen, machen unsere Arbeit mit Herzblut.“

Eine Arbeit, die oft wenig wertgeschätzt werde, wie der Gelsenkirchener Milchbauer Josef Föcker an einem Beispiel aufzeigt: Während er im Spätsommer die Ernte eingefahren habe, hätten Passanten Blumen von einem der Blühstreifen gepflückt, die er als Bienenweide angelegt hat. Darauf angesprochen, dass sie Insekten so wichtige Nahrung wegnehmen, „haben sie mir nur vorgeworfen, mit meinem Schlepper die Umwelt zu verpesten“.

Weitere Proteste geplant

Traktor-Demo in Zahlen



200 Schlepper sind am vergangenen Montag vom Bottroper Movie Park aus in Richtung Bielefeld gestartet. Darunter auch einige aus Gelsenkirchen.
Entlang der Strecke kamen weitere dazu. Rund 500 Traktoren sollen laut Ansgar Tubes am Ende zum Konvoi gehört haben.

5600 Trecker aus ganz Deutschland kamen am Dienstag in Berlin zur zentralen Demo an, bei der auch Tubes gesprochen hat.

Vorwürfe, die Landwirten immer wieder begegnen würde. „Dabei bemühen wir uns. Aber es kommt das Gefühl auf, dass man es nicht richtig machen kann“, resigniert Koch. Sich in ihr Schicksal fügen wollen die Anwesenden aber auf keinen Fall. Ansgar Tubes, der auch NRW-Sprecher des Netzwerks Land schafft Verbindung ist, das die PS-starken Demonstrationen organisiert erklärt: „Wir möchten wertgeschätzt werden und wir möchten aufklären.“ Durch die habe die Branche bereits Rückhalt aus der Bevölkerung erfahren. Tubes verspricht deshalb: „Wir sind nicht das letzte Mal mit dem Trecker rausgefahren.“ Und wieder nicken alle zustimmend.