Gelsenkirchen-Hassel. Eltern, die ihre Kinder zur Schule fahren, halten sich in Gelsenkirchen oft nicht an Verkehrsregeln. Warum Schulleiter inzwischen resignieren.
Montagmorgen, 7.52 Uhr. In drei Reihen halten Autos auf dem Röttgersweg direkt vor der Mährfeldschule. Motoren summen und Bremsen quietschen. Eltern und Kinder springen aus Wagen, es wird nach Schulranzen gekramt. Währenddessen quetschen andere Grundschüler sich zwischen den Fahrzeugen hindurch über die Straße. Und über allem prangen gleich mehrere blau-rote Schilder: absolutes Halteverbot von 7 bis 14 Uhr.
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83 Prozent der Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zu der Hasseler Grundschule bringen, brechen Verkehrsregeln. Das hat ein Test des Auto Club Europa (ACE) ergeben. „Da parkt fast jeder falsch“, resümiert der Gelsenkirchener ACE-Vorsitzende, Rechtsanwalt Arndt Kempgens. Nur fünf von 29 sogenannten Elterntaxis hätten am Tag des Tests nicht gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen.
Jeder zehnte kutschiert den Nachwuchs zur Schule
An insgesamt sieben Gelsenkirchener Grundschulen haben ACE-Mitglieder den morgendlichen „Bringverkehr“ beobachtet. Das Ergebnis: Zehn Prozent der Eltern brachten ihre Kinder mit insgesamt 145 Pkw zur Schule, fast 60 Prozent von ihnen hielten im Parkverbot oder in der zweiten Reihe. Damit seien erhebliche Gefahren verbunden – nicht nur für das eigene Kind, sondern besonders für andere – ,warnt der Autoclub.
Die Polizei weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die haltenden Fahrzeuge nicht nur eine Sichtbehinderung für die Kinder darstellen. Wegen ihrer geringen Körpergröße würden Grundschüler zudem von den Autos verdeckt und so leicht übersehen. Um auf die Problematik aufmerksam zu machen, führt die Polizei regelmäßigen Kontrollen an Schulen durch. Wer dabei auffällt, muss mit einem Bußgeld in Höhe von 15 bis 30 Euro rechnen. Zusätzlich setzen die Beamten auf Elterninformationsveranstaltungen.
„Die Eltern machen, was sie wollen“
An der Mährfeldschule ist man sich des Problems bewusst: „Ich bin seit 27 Jahren hier und seitdem ist das Thema“, sagt die kommissarische Schulleiterin Annegret Teichel. Immer wieder würden die Lehrer bei Elternabenden auf die Gefahren hinweisen, die von Elterntaxis ausgehen. „Aber die Eltern machen am Ende, was sie wollen“, resigniert Teichel. Der Empfehlung, die Kinder am frisch modernisierten Hasseler Marktplatz, nur wenige Gehminuten von der Schule entfernt, abzusetzen, folgten die wenigsten.
Unfälle auf dem Schulweg
104 Kinder unter 15 Jahren wurden 2018 laut Verkehrsunfallstatistik bei Unfällen in Gelsenkirchen verletzt – drei Prozent mehr als im Vorjahr.
38 der verunglückten Kinder waren mit dem Fahrrad unterwegs, 21 zu Fuß. Die übrigen waren als Mitfahrer im Auto in Unfälle verwickelt.
Zehn der Unfälle passierten auf dem Schulweg. Das sind weniger als in den Vorjahren (2014 bis 2017 waren bis zu 15 Kinder auf dem Schulweg verletzt worden).
Auch nicht die Mutter, die mit ihrem schwarzen Kleinwagen direkt vor dem Schuleingang hält, um ihre beiden Kinder aussteigen zu lassen. Sie ist sich ihres verbotenen Verhaltens bewusst, rechtfertigt sich aber: „Wo soll ich sonst hin? Hier kann man nirgendwo parken und die Kinder sind noch zu klein, um alleine zu gehen.“ Dass die Stadt das Halteverbot eingerichtet hat, um die Verkehrssituation vor der Schule für Fußgänger sicherer zu machen, spielt für sie keine Rolle.
Fast eine Mädchengruppe übersehen
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Für den Fahrer eines blauen Kombis ist die Sicherheit der Kinder, die zu Fuß zur Schule kommen, offenbar ebenfalls zweitrangig. Auch er setzt seine Tochter mit laufendem Motor direkt vor am Schultor ab. Dass er danach beim Rückwärtsfahren entgegen der Fahrtrichtung der Einbahnstraße eine Mädchengruppe gefährdet, die zu Fuß den Röttgersweg passiert, scheint er noch nicht einmal zu bemerken.
Kinder sollen zu Fuß zur Schule
Nicht nur wegen solcher gefährlichen Situationen vor dem Schultor spricht Kempgens sich dafür aus, dass Kinder eigenständig zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kommen. „Nur so lernen sie, sich sicher im Straßenverkehr zu bewegen, sie bauen Bewegungs- und Koordinationsdefizite ab und können dabei sogar Freundschaften schließen“, zählt er die Vorteile auf. Gerade am Anfang könnten die Eltern ihre Kleinen außerdem begleiten und ihnen das richtige Verhalten im Verkehr zeigen.
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Das wünscht sich auch Annegret Teichel. „Die wenigsten Schüler wohnen so weit von der Schule entfernt, dass sie mit dem Auto gebracht werden müssen“, sagt sie. Allerdings beobachtet sie seit Jahren einen regelrechten Negativkreislauf: Aus Angst, Kinder könnten durch das rücksichtslose Verhalten der Elterntaxi-Fahrer in gefährliche Situationen kommen, setzten sich viele selbst hinters Steuer, um die Kinder zur Schule zu fahren. Und damit auf dem verbleibenden Fußweg so wenig Gefahren wie möglich lauern, werde eben direkt vor der Schule gehalten.