Erle. Mehrere zehntausend Euro winken der NS-Dokustätte in Erle: Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe unterstützt die Arbeit solcher Erinnerungsorte

Die internationale Forschung zum Herrschaftssystem des Nationalsozialismus füllt mehrstöckige Gebäude; im Vergleich dazu nimmt sich die Erler NS-Dokumentationsstätte mit ihren sieben Ausstellungsräumen und der übersichtlichen Präsenzbibliothek bescheiden aus, teilt sie sich doch das Gebäude an der Cranger Straße 323 mit der Stadtteilbücherei. Jedenfalls noch: In zwei Jahren, so hofft der Leiter des Instituts für Stadtgeschichte (ISG), Daniel Schmidt, könnte der Neubau der Gesamtschule Erle stehen, in die auch die Stadtteilbibliothek umziehen soll. Deren Fläche will dann die NS-Dokustätte übernehmen – ein Domino-Effekt im Dienste der historisch-politischen Bildung, für die sich mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) nun ein neuer Zuschussgeber gemeldet hat.

So will der LWL ab 2020 westfälische NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte einerseits mit insgesamt 250.000 Euro pro Jahr unterstützen, dort andererseits aber auch von 2020 bis 2024 Bau- und Einrichtungsmaßnahmen mit jährlich 150.000 Euro fördern. Einen entsprechenden Beschluss hat jetzt der LWL-Landschaftsausschuss in Münster gefasst. Dass die Erler Einrichtung davon profitieren könnte, davon ist Historiker Schmidt überzeugt. „Wir werden sicher einen Antrag stellen, um den Finanzierungsbedarf für unsere Erweiterung weiter abzudecken“, erklärte er auf Anfrage. Genutzt werden sollen die Mittel, um die zusätzlichen Räumlichkeiten im Erdgeschoss für Wechselausstellungen herzurichten.

Platz für spannende Wanderschauen

Daniel Schmidt, heute Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, zu der die NS-Dokumentationsstätte in Erle gehört, forschte zur Geschichte der Edelweißpiraten in der NS-Zeit.
Daniel Schmidt, heute Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, zu der die NS-Dokumentationsstätte in Erle gehört, forschte zur Geschichte der Edelweißpiraten in der NS-Zeit. © FUNKE Foto Services | Foto: Thomas Gödde

„Dann hätten wir auch Platz für spannende Wanderschauen, die unserem Haus neue Impulse verleihen und Interessierte dazu motivieren können, auch nach dem Besuch der Dauerausstellung wiederzukommen“, so Schmidt.

Gut gebrauchen könne die Dokumentationsstätte auch weitere Räume für die politische Bildungsarbeit, etwa für öffentliche Vorträge. „Als wir unser 25-jähriges Jubiläum gefeiert haben, mussten wir wegen der hohen Teilnehmerzahl in die Bücherei im Erdgeschoss ausweichen. Schön wäre weiterer Platz für rund 80 Gäste und Büros für das Personal, das aus dem Wissenschaftspark umziehen wird. Bislang haben wir in Erle nur Aufsichtskräfte.“

Präsenzbibliothek könnte ausgebaut werden

Von der Vergrößerung könnten auch Schüler, Studenten und andere Interessierte profitieren, die zum Thema NS forschen oder Referate vorbereiten. „Bislang haben wir vor Ort eine Sammlung von NS-Literatur und eine kleine Forschungsbibliothek, die wir dann künftig deutlich aufstocken würden. Bis jetzt befinden sich die weitaus meisten wesentlichen Werke und auch Spezialliteratur im Wissenschaftspark. Die Bücher an der Cranger Straße sind Ergänzung und Grundausstattung für die tägliche Arbeit. Künftig wäre es dann umgekehrt“, erläutert der Institutsleiter.

Im Blick hat der LWL einerseits die Vermittlungsarbeit in den Gedenkstätten, etwa Bildungsveranstaltungen, Publikationen, Fortbildungen, gedenkstättenpädagogische Konzepte und Begegnungen, andererseits aber auch Forschung und Dokumentation wie Archivreisen, Zeitzeugeninterviews, Reproduktionen und Software. Die Einrichtungen können für beide Förderschwerpunkte jährlich jeweils 10.000 Euro beantragen. Hinzu kommt eine 90-prozentige Bezuschussung von Baumaßnahmen bis zu einer Summe von 50.000 Euro, um den Investitionsstau in vielen Gedenkstätten abbauen zu können. „Wieviel wir dann am Ende bewilligt bekommen, ist noch unklar. Sicher wird es aber eine substanzielle Förderung unserer Arbeit sein“, so Schmidt.

Gesamtschule und Stadtteilbücherei Erle wollen sich Neubau teilen

Die Stadtteilbibliothek Erle soll zum Schuljahr 2021/22 in den dann fertiggestellten Neubau einziehen. Die bisherigen Bücherei-Räume werden der NS-Dokumentationsstätte zugeschlagen.
Die Stadtteilbibliothek Erle soll zum Schuljahr 2021/22 in den dann fertiggestellten Neubau einziehen. Die bisherigen Bücherei-Räume werden der NS-Dokumentationsstätte zugeschlagen. © Funke Foto Services | Michael Korte

Einstimmig beschlossen wurde der viergeschossige Neubau für die Gesamtschule Erle im September 2018 von der Bezirksvertretung Ost. Hintergrund ist der große Raumbedarf der wachsenden, mittlerweile sechszügigen Schule, deren Mensa dazu noch viel zu klein geworden ist. Errichtet werden soll das Gebäude mit einer Gesamtnutzfläche von 1950 Quadratmetern auf einem zentral gelegenen Teilstück des Schulhofs zwischen Ost- und Mühlbachstraße.

Geplant ist eine zweifache Nutzung: einerseits für die Schule (sechs Klassen-, zwei Naturwissenschaftsräume, ein Differenzierungsraum, eine Mensa(Küche)/Caféteria mit 240 Essplätzen), andererseits für die Stadtteilbibliothek, der 405 Quadratmeter zugeschlagen werden. Das Gros von 1545 Quadratmetern ist der Gesamtschule vorbehalten.

Baustart für Neubau im Frühjahr 2020

Der Baustart soll bis Frühjahr 2020 erfolgen; im September soll das Gebäude fertiggestellt sein. Wenn alles nach Plan läuft, kann es zum Schuljahr 2021/22 bezogen werden. Die Gesamtkosten sind mit rund 9,6 Millionen Euro veranschlagt, von denen etwa 7,7 Millionen Euro bezuschusst werden. Der Eigenmittelanteil für die Stadt Gelsenkirchen beträgt rund 1,9 Millionen Euro.

Das Besondere an dem Neubau ist die Nutzung der öffentlichen Stadtteilbibliothek durch die Schule. Die Bücherei stellt unterrichtsrelevante Medien zusammen und vermittelt als Bildungspartner Strategien zur Informationsgewinnung und Medienkompetenz. Zugleich bleibt sie offen für die Begegnung mit Menschen aus dem Quartier und für Veranstaltungen.