Gelsenkirchen-Erle. . Im Gafög-Gebäude an der Emscherstraße lagern noch Berge von Akten, Unterlagen und Protokollen. Unbekannte vermüllten damit Foyer und Flure.

Auch wenn es so gut wie nicht mehr genutzt wird: Das Gafög-Gelände an der Emscherstraße in Erle macht nach wie vor von sich reden – als Tatort für Mülltourismus, Einbrüche, Brandstiftungen und heillose Zerstörungswut.

Jetzt haben Unbekannte sich in den weitläufigen Gebäuden noch einmal genauer umgesehen und Unterlagen durchwühlt, die dort gar nicht mehr hingehören: Vorlagen für öffentliche und nicht-öffentliche Rats- und Ausschusssitzungen, Protokolle, Listen mit Namen, Adressen und Geburtsdaten.

Auskunft über Vertragsverlängerungen

Damit nicht genug: Die Akten, die offen im Foyer, auf den Gängen und in den Räumen herumliegen, geben Auskunft über Vertragsverlängerungen von Geschäftsführern städtischer Einrichtungen, erläutern die Anmietung von Dienstgebäuden für die Zulassungs- und Führerscheinbehörde, listen Sitzungsgelder und Beförderungen auf.

Abriss beginnt im Mai 2019

Die Tage der Gebäude der ehemaligen Zeche Graf Bismarck an der Emscherstraße in Erle sind gezählt. Stadtsprecher Martin Schulmann: „Die Abrissarbeiten werden im Frühjahr kommenden Jahres beginnen.“

Nach vorbereitenden Planungen und Untersuchungen durch einen Gutachter solle die Entkernung im März, der Abriss im Mai 2019 anlaufen.

Doch es sind nicht nur städtische Schreiben, die der Aktenvernichtung vorenthalten wurden. Neben zahllosen CDs und Werbeprospekten liegen auch die Protokolle einer Beratungs- und Betreuungssitzung der Arbeitsförderungsgesellschaft Gafög.

Die städtischen Akten und Unterlagen aus Verwaltung und Politik stammen aus der Zeit, als Rat und Fraktionsbüros während des Umbaus des Hans-Sachs-Hauses untergebracht waren, die einst zum Übertage-Betrieb der Zeche gehörten und dann vom Berufsförderungswerk Graf Bismarck genutzt worden waren.

Mit Adressaufklebern

„Unterlagen, die sich auf Personalangelegenheiten beziehen und persönliche Daten enthalten, haben dort nichts verloren“, stellt Stadt-Sprecher Oliver Schäfer klar. Den Hinweis der WAZ auf den Aktenfund hat die Stadt sofort zum Anlass genommen, das Material zu sichten, zu sichern und inzwischen auch zu beseitigen.

Unterlagen und Schreiben seien für die Fraktionen bestimmt gewesen, darauf ließen die Adressaufkleber schließen, die man gefunden habe. Somit sei es Aufgabe der Fraktionen gewesen, sich um die ordnungsgemäße Entsorgung der Akten zu kümmern.

Zugang ist nicht gestattet

Ausdrücklich warnt Oliver Schäfer davor, das Gelände zu betreten: „Der Zugang ist nicht gestattet.“ Nicht nur aus juristischen Gründen. „Schon zum Eigenschutz sollte man nicht in das Gebäude steigen“, so Schäfer.

Gleichwohl werden Unbefugte vom Betreten des Geländes kaum abgehalten: Ein wackeliger Bauzaun versperrt die Zufahrt zum Hintereingang des Gebäudes nur zweckdienlich und ist leicht zu umgehen, die Holzplatten, die den Eingang versperren, sind zum Teil wieder herausgerissen worden.

Räume für die Ratsarbeit der Parteien

Während des Umbaus des Hans-Sachs-Hauses bis Sommer 2013 konnten große Parteien wie SPD und CDU, aber auch kleine Parteien oder Einzelmandatsträger Räume im Gafög-Gebäude für ihre politische Ratsarbeit nutzen. Im Laufe von mehreren Wahlperioden änderten sich Namen und Zusammensetzungen der kleinen Parteien und Gruppen mehrmals, schieden Stadtverordnete aus.

Dass fünf Jahre später dort noch Datenmaterial zu finden ist, hat bei Vertretern von SPD, CDU und Grünen für Überraschung und Verwunderung gesorgt. „Dort war alles provisorisch, aber wir haben alles ins Hans-Sachs-Haus gebracht oder ordnungsgemäß entsorgen lassen“, erinnert sich Günter Pruin (SPD), damaliger Ratsfraktionsgeschäftsführer.

Gelsendienste mit Aktenvernichtung beauftragt

Fraktionsvorsitzender Klaus Haertel ergänzt: „Ein Unternehmen war mit dem Umzug der Büros beauftragt, nicht mehr benötigte Unterlagen sind über Gelsendienste entsorgt worden.“ Ähnlich ist auch die CDU vorgegangen. Werner Wöll, damaliger Fraktionsvorsitzender: „Wir haben unsere Büros guten Gewissens verlassen. Mit der Aktenvernichtung war Gelsendienste beauftragt, ein zertifizierter Entsorger also. Die anderen Sachen kamen ins Hans-Sachs-Haus, ein Teil davon in ein Zwischenlager in Heßler.“

Auch Burkhard Wüllscheidt, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, schließt ein Fehlverhalten seiner Partei aus. Die damalige Geschäftsführerin habe ihre Aufgabe mehr als zuverlässig erfüllt, ein Fehlverhalten sei ausgeschlossen. Gleichwohl fragt er sich, warum die Stadt nach der Aufgabe des Gebäudes sich nicht noch einmal vergewissert habe: „Als Vermieter guck’ ich doch noch mal ‘rein, oder?“