Essener Süden. Gekonnt dribbelt Henning Ulrich das runde Leder über den Kunstrasenplatz. Es könnte ein ganz normaler Fußballsamstag sein, hinter dem Franz Sales Haus an der Steeler Straße. Doch der 22-Jährige, der dort über den Platz saust, ist von Geburt an blind.
Ein Netzhautfehler raubte ihm das Augenlicht. Noch vor fünf Jahren hatte er noch etwa drei Prozent Sehkraft. Das war nicht viel, reichte aber aus, um eigenständig Inline-Skates zu fahren. Mittlerweile nimmt Henning nur noch hell und dunkel wahr. Doch für seine Leidenschaft, das Kicken, ist das nicht von Bedeutung.
Es rasselt, wenn er vor den Ball tritt. Von hinten naht ein Angreifer, der laut „voy” ruft. Das ist spanisch und bedeutet „Ich komme”. Die Spieler - im Blindenfußball bilden vier Mann und ein sehender Torwart ein Team - verlassen sich voll und ganz auf ihr Gehör. Außerdem dirigieren der Trainer und ein Guide, der hinter dem gegnerischen Tor steht, ihre Mannschaften.
Gemeinsam mit dem Deutschen Behindertensportverband organisierte das Franz Sales Haus, das als integrative Einrichtung vor allem den Behindertensport fördert, den ersten deutschen Nachwuchscup für Blindenfußballer. Mit Bundestrainer Ulrich Pfisterer wussten die Teilnehmer einen echten Profi an ihrer Seite. Seit der Blindenfußball mit der Weltmeisterschaft 2006 auch in Deutschland bekannt wurde, hat Diplom-Sportlehrer Pfisterer alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Sportart zu etablieren. Mit Erfolg. Bei der vergangenen Europameisterschaft in Frankreich belegte die Nationalmannschaft Platz fünf. Im November steht ein Turnier in Thessaloniki an, von dem sich Pfisterer weiteren Aufwind für die Nationalmannschaft verspricht. Der Bundestrainer ist gleichzeitig der „Vater” der Blindenfußballbundesliga, die 2008 ins Leben gerufen wurde.
Auch Henning Ulrich spielt in der Bundesliga. Mit dem ISC Dortmund hat der Informatik-Student ein Zuhause für sein Hobby gefunden. „Ich spiele gern im Team. Gemeinsam zu gewinnen ist einfach großartig”, so Henning Ulrich.
Bundestrainer Pfisterer weiß aber, dass es oft um weit mehr als den sportlichen Erfolg geht. „Die Blindenfußballer bekommen Anerkennung. Kaum ein sehender Mensch kann sich vorstellen wie es ist, quasi im Dunkeln Fußball zu spielen. Das ist wichtig für das Selbstwertgefühl”, so Pfisterer. Dass sehende Menschen schnell an ihre Grenzen gelangen, sobald die Augenbinde aufgesetzt ist, beweist ein Experiment, an dem Pfisterer vor einiger Zeit beteiligt war. Bundesligaprofis wie Delron Buckley wagten eine Partie gegen die Blindenfußballer aus Stuttgart. Die Profis ohne Augenlicht gewannen das Spiel - während ihre sehenden Mitstreiter hilflos über das Feld irrten.
Doch nicht nur das Gehör ist wichtig. Ausschlaggebend ist wie bei jeder anderen Sportart auch die körperliche Fitness. „Nicht jeder Blinde oder Sehbehinderte kann Fußball spielen. Gleichgewicht, Körper- und Raumgefühl, das alles muss stimmen”, sagt Ulrich Pfisterer. In NRW spielen zurzeit drei Vereine in der Bundesliga: Köln, Gelsenkirchen und Dortmund. Zwar gibt es auch am Franz Sales Haus einen Blindenfußballverein, für die „Königsklasse” reicht es aber noch nicht. „Wir suchen dringend noch Spieler”, appelliert Ewald Brüggemann von der integrativen Sportgemeinschaft deswegen an weitere blinde und sehbehinderte Sportler.