Essen-Huttrop. . Heinz Seitz (84) freut sich über wöchentliche Besuche. Der Senior lebt seit 70 Jahren im Franz-Sales-Haus. Die Gründe kennt er nicht.
Heinz Seitz’ großer Wunsch, einen ehrenamtlichen Freizeitpartner zu finden, ist in Erfüllung gegangen. Der 84-Jährige lebt seit 70 Jahren im Franz-Sales-Haus, der katholischen Einrichtung für geistig behinderte Menschen. Nachdem im Dezember letzten Jahres ein Artikel über den rüstigen Senior in dieser Zeitung erschienen war, meldete sich Manfred Rudolf. Der vielseitig interessierte und sozial engagierte 68-Jährige fand Heinz Seitz auf Anhieb sympathisch – und besucht ihn jetzt einmal pro Woche.
Manfred Rudolf ist pensionierter Diplom-Ingenieur, seine fränkische Herkunft hört man ihm bis heute an. Auf die einstündigen Zusammenkünfte freut er sich ebenso wie Heinz Seitz. Die beiden Männer reden über alles – nur nicht über Politik, wie Manfred Rudolf betont. Er kümmert sich ehrenamtlich seit Jahren um bis zu vier Senioren, gibt zudem regelmäßig Smartphone- und Tabletkurse für ältere Menschen. „Wenn ich Heinz Seitz besuche, unterhalten wir uns, setzen uns manchmal draußen auf eine Bank“, beschreibt Rudolf die Treffen. „Aber wir können vielleicht auch die aktuelle Ausstellung im Oberhausener Gasometer zusammen anschauen.“
Im Umgang mit Senioren ist Manfred Rudolf geübt. „Ich habe mich mit 55 Jahren aus der Industrie verabschiedet, mich zum Seniorenbegleiter weiterbilden lassen und mich damit selbstständig gemacht“, sagt der zweifache Vater und Großvater. Er hört zu, wenn Heinz Seitz auf dem Keyboard in seinem Zimmer spielt oder Geschichten aus seinem Leben erzählt. Musik ist die große Leidenschaft von Heinz Seitz. Ohne Noten lesen zu können, hat er sich das Klavier- und Orgelspiel selbst beigebracht, spielt außerdem Zither und Akkordeon. „Was ich höre, kann ich sofort nachspielen“, sagt er. Auch die klassische Fotografie mache ihm viel Spaß.
Musik ist seit langem die Leidenschaft von Heinz Seitz
Wer Heinz Seitz erzählen hört, fragt sich, warum er seit seiner Jugend im Franz-Sales-Haus lebt – eine Frage, auf die der 84-Jährige selbst keine Antwort hat. Der gebürtige Leverkusener besuchte ursprünglich eine normale Schule. „Mit dem Lesen und Schreiben hat es nicht so gut geklappt“, erinnert sich Seitz. Als er 14 war, habe seine Mutter zu ihm gesagt, dass er ab sofort nicht mehr in die Schule gehen müsse. „Da war ich den ganzen Nachmittag schlecht drauf, und auch am nächsten Tag ging es mir nicht gut“, blickt er zurück. Er habe sich dann mit der Situation abgefunden. „Ich war schon geschockt. Aber was sollte ich machen?“
Er sei dann ins Franz-Sales-Haus nach Essen gebracht worden. Seine Eltern hätten ihn besucht, seine Schwester komme bis heute. „Das war damals schon alles sehr streng hier“, sagt Seitz. Schläge seien an der Tagesordnung gewesen. „Wir sind jetzt dafür entschädigt worden, was wir erlebt haben.“
Senior hat manchmal die Orgel in der Messe gespielt
Im Franz-Sales-Haus arbeitete Seitz als Gärtner, später als Pförtner und in der Schreinerei, bis er 1999 in Rente ging. Geheiratet habe er nie, erzählt Seitz, aber einige Freundinnen habe er gehabt. Männer und Frauen seien damals im Franz-Sales-Haus getrennt untergebracht gewesen, sexuelle Kontakte seien streng verboten gewesen.
In seiner Freizeit sang Heinz Seitz im Chor, spielte Klavier und manchmal auch die Orgel in der Messe oder bei Beerdigungen. „Auch zu Hause hatte ich schon mal in der Kirche an der Orgel ausgeholfen“, sagt Seitz. Seine Mutter habe das mit dem Pfarrer abgesprochen, sein Vater habe später in der Kirche gefragt, wer denn da spiele. Am Ende habe der Vater neben ihm gestanden und anerkennend genickt. Für seinen Einsatz habe er vom Pfarrer einen Umschlag bekommen. „Da waren 40 Mark drin, damals viel Geld.“
Franz-Sales-Haus sucht weitere Ehrenamtliche
Laut Valeska Ehlert, Sprecherin des Franz-Sales-Hauses, seien die Gründe, warum Menschen wie Heinz Seitz damals in die Einrichtung kamen, um dann dort fast ihr gesamtes Leben zu verbringen, sehr unterschiedlich und manchmal familiärer Natur. Fachliche Diagnosen wie heute habe es damals nicht gegeben. Manchmal gelinge der Absprung in ein selbstständiges Leben, wie bei einer Frau, die mit 63 ihre erste eigene Wohnung bezogen habe. „Allerdings haben Menschen, die so lange hier leben, auch all ihre sozialen Bindungen hier“, sagt sie.
Manfred Rudolf ist einer von rund 150 Ehrenamtlichen, die sich um die behinderten Menschen im Franz-Sales-Haus kümmern. Weitere Helfer sind sehr willkommen. „Die Ehrenamtlichen sollen nicht die Aufgaben der Hauptamtlichen übernehmen. Es wäre einfach schön, wenn sie einen Bewohner bei seinem Hobby begleiten oder Menschen, die sonst niemanden haben, auf einen Kaffee besuchen könnten“, sagt Valeska Ehlert, Sprecherin des Franz-Sales-Hauses. „Natürlich ist es wichtig, dass die ,Tandems’ passen, so wie bei Heinz Seitz und Manfred Rudolf.“
Der Hofladen kann Verstärkung gebrauchen
Aktuell sucht das Franz-Sales-Haus Menschen, die gern Brettspiele machen, für den Spieletreff oder für eine einzelne ältere Bewohnerin. Auch wer gern bastelt oder Tischtennis spielt, ist willkommen. „Ein Rollstuhl-Fahrer sucht jemanden, der ihn zur Kirmes begleitet, und ein anderer junger Mann möchte gern Bahnfahren“, sagt Valeska Ehlert. Er habe einen Schwerbehindertenausweis und könne einen Begleiter in NRW kostenlos mitnehmen. Gesucht werden auch Helfer für den Hofladen auf dem Klosterberghof, für das Herbstfest am 15. September oder Menschen, die sich bei Kursen oder Sportangeboten einbringen wollen.