Essen. . Überraschende Einblicke in die Aldi-Welt: Wenige Wochen vor seinem Tod gab Aldi-Mitbegründer Karl Albrecht der FAZ sein erstes Zeitungsinterview überhaupt.
„Zurückgezogener als der Yeti“ lebten die Albrechts. So hat es einmal das US-Magazin „Forbes“ formuliert. Auf der alljährlichen Forbes-Liste der reichsten Deutschen rangierten die Brüder Theo und Karl Albrecht ganz oben. Die Fotos für das Reichen-Ranking waren dabei stets dieselben: leicht unscharfe Porträts zweier graumelierter Herren. Der Münchener Fotograf Franz Ruch hatte die Bilder der beiden öffentlichkeitsscheuen Milliardäre 1987 für Forbes geschossen – und sich dafür zwei Wochen lang in Essen auf die Pirsch gelegt. Seitdem waren die Aldi-Brüder in der Öffentlichkeit nicht mehr aufgetaucht. Mit Journalisten redeten die großen Geheimniskrämer aus dem Ruhrgebiet schon gar nicht.
Mandeltorte vom Konditor nebenan
Kurz vor seinem Tod muss Karl Albrecht es sich dann wohl anders überlegt haben. Vor einigen Wochen gewährte der am vergangenen Mittwoch gestorbene Mitbegründer der Discounter-Dynastie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) überraschend Einblicke in seine Gedankenwelt. Erstmals überhaupt empfing der 94-Jährige einen Reporter in seiner Bredeneyer Villa – bei Mandeltorte, „ausnahmsweise nicht von Aldi, sondern von der Konditorin um die Ecke“. Zugegeben, eine pralle „Homestory“ im klassischen Sinn ist die Doppelseite im FAZ-Wirtschaftsteil nicht geworden. Verglichen mit anderen Promi-Porträts gab Karl Albrecht Persönliches nur sparsam preis.
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Alles andere hätte ja auch verwundert. Die FAZ traf auf den „Antityp einer nach außen gekehrten Machtfigur“. Albrecht habe leise gesprochen, aufmerksam zugehört, wirkte „trotz seines hohen Alters wach und interessiert“. Er erzählt von seiner schweren Kriegsverwundung an der Front vor Moskau. Fast hätte er dort ein Bein verloren. Der mächtigste deutsche Einzelhändler berichtet von der Kindheit im kleinen Laden der Eltern, umgeben von der erdrückenden Konkurrenz größerer Händler mit mehreren Filialen. „Ja, ich wollte groß werden“, zitiert ihn das Blatt. „Egal, wie sie mich beschimpft haben, ich wollte groß werden.“ Dass es ausgerechnet Lebensmittel waren, mit denen die Albrechts das reichste deutsche Handelsunternehmen aufbauten, auch das war früh durchkalkuliert. Schon als Kind habe er erkannt, „dass man als Lebensmittelhändler auch in Krisenzeiten groß werden kann“.
[kein Linktext vorhanden]Fast rührend erzählt Albrecht dann von einer gemeinsamen Tandemtour mit dem Bruder von Essen nach Berchtesgaden und zurück. Drei Wochen, in denen die späteren Milliardäre genau 19,50 Mark ausgaben, ihre beiden Fahrräder zusammenschraubten und nach dem Trip fein säuberlich wieder trennten. Und natürlich erfährt man etwas darüber, was man als Aldi-Unternehmensphilosophie bezeichnen könnte. „Was man erreichen muss“, so Albrecht, „ist, dass der Kunde den Glauben gewinnt, nirgendwo billiger einkaufen zu können.“
Doch der Hang zum Sparen, das bewusst gepflegte Billig-Image, das war offenbar nur die eine Seite des Aldi-Gründers. Seinen Geschäftsführern trieb es den kalten Schweiß in den Nacken, als Albrecht ihnen einmal verkündete: „Unsere Leute verdienen zu wenig.“ Albrecht wollte die Gehälter der Belegschaft um 30 Prozent anheben. „Sie hielten mich für verrückt, aber ich habe das durchgesetzt.“ Keine besonders hohe Meinung hatte Karl Albrecht, der nie einen Kanzler oder eine Kanzlerin traf, dagegen von Politikern: „Politik ist doch ein eher schmieriges Geschäft.“ Auch die Welt der Wirtschaftsbosse war dem reichsten Deutschen nicht geheuer. Einladungen zu Empfängen schlug er fast immer aus. Denn: „Industriebosse sind mir fremd.“