Essen-Rüttenscheid. Wenn Sonntag die Ruder-WM beginnt, fiebert eine Essenerin ganz besonders mit. Es ist Annelen Collatz. Die Psychologin betreut Top-Athleten.
Für Ungeübte ist der Weg durch das Treppenhaus nach oben in die Praxis von Dr. Annelen Collatz ähnlich anstrengend wie eine Gipfeltour in den Alpen. Fünf Etagen kosten Kraft. Manche Besucher aber nehmen die vielen Stufen an der Zweigertstraße mit links. Das sind die Leistungssportler, die hier ein und aus gehen. Die Rüttenscheiderin arbeitet als Sportpsychologin für die Ruder-Nationalmannschaft.
Sonntag beginnt die Weltmeisterschaft in Linz (bis 1. September). Das ist auch für Annelen Collatz der sportliche Höhepunkt des Jahres. Dabei sitzt sie gar nicht mit im Boot. „Ich komme vom klassischen Ballett und hatte mit Rudern nie viel zu tun. Ich kann höchstens ins Wasser fallen“, sagt sie und lacht. Noch ist sie sehr entspannt. Das wird sich aber spätestens mit den ersten Vorläufen ändern, in denen Athleten am Start sind, die sie in ihrer Praxis betreut. „Dann bin ich mit Leib und Seele dabei und schreie den Fernseher an.“ Selbst nach Linz reisen wird sie nicht. Also wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht doch, ganz spontan und privat am finalen Wochenende.
Erster Fall: Ein Frauen-Zweierboot sollte sich auf den letzten Drücker für Olympia qualifizieren
In der Vorbereitung auf diese wichtigste Regatta eines nicht-olympischen Jahres war sie gefragt. Wie auch in den vergangenen Jahren, seit sie 2011 begonnen hat, einzelne Athleten psychologisch zu betreuen. Es wurden immer mehr. Angefangen hatte alles mit einem Frauen-Zweierboot, das sich auf den letzten Drücker für die Olympischen Spiele qualifizieren sollte. Eine große Belastung für Körper und Kopf. Psychologische Ratschläge mussten her und Annelen Collatz war zur Stelle.
In ihrer Praxis beschäftigt sie sich eigentlich mit Wirtschaftspsychologie. Sie coacht Top-Manager, „aber es gibt viele Überschneidungen zu der Arbeit mit Leistungssportlern“. In beiden Fällen handelt es sich um High-Performance-Leute, wie sie es nennt. Also um Menschen, die darauf ausgerichtet sind, erfolgreich zu sein, die Druck aushalten und sich quälen, um Ziele zu erreichen.
Die Zusammenarbeit mit den Ruderern begann mit einer Zufallsbegegnung
Wie kam es dazu, dass viele von Deutschlands besten Ruderern regelmäßig in die Rüttenscheider Praxis kommen, um Ballast loszuwerden und ihre Psyche für den Wettkampf zu stärken? Es war eine Zufallsbegegnung. „Ich habe als Dozentin an der Ruhruni gearbeitet, als in einem Seminar ein Sportler aus dem Team Deutschland-Achter saß“, erzählt Collatz. Im Gegensatz zu den meisten Fußballprofis bauen selbst Weltklasse-Ruderer nämlich schon während ihrer aktiven Zeit ein zweites berufliches Standbein auf. Etwas später lernte die Essenerin auch Bundestrainer-Ikone Ralf Holtmeyer kennen, unter dessen Regie das Vorzeige-Boot Deutschland-Achter etliche Titel bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gewann.
Seitdem ist sie zur Stelle, wenn ein geknickter Sportler aufmunternde Worte nach einer Niederlage benötigt oder ein Athlet damit zu kämpfen hat, dass ein anderer im Boot sitzen darf und er selbst nur zweite Wahl ist. Oder besser gesagt: Die Sportler sind zur Stelle. Denn meistens kommen ja sie zu ihr und nicht umgekehrt. „Die Gespräche laufen streng vertraulich. Im Trainingszentrum hätten die Wände Ohren“, sagt Collatz. Für mehr Privatsphäre nehmen die Ruderer auch gerne die Endlos-Treppe bis nach oben in die Rüttenscheider Praxis in Kauf.
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