Essen-Burgaltendorf. . Auf Einladung aus Überruhr: Wolfgang Schäfer (86) berichtet den Gymnasiasten von seiner Jugend in der NS-Zeit – damit die sich nicht wiederholt.

Als 13-Jähriger stand für Wolfgang Schäfer fest: Wenn er groß ist, wird er Fallschirmjäger, Jagdflieger oder Panzerfahrer bei General Rommel. Der Berufswunsch kam nicht von ungefähr: Schäfer, Jahrgang 1932, marschierte begeistert beim Deutschen Jungvolk für den Führer und war „ein widerspruchsloser Anhänger der NS-Ideologie, der durch die vormilitärische Ausbildung entsprechend manipuliert wurde “, wie der 86-Jährige heute sagt.

Über diese Jugendzeit, die ihn stark geprägt hat, und die er erst als Erwachsener infrage gestellt und verarbeitet hat, spricht der Burgaltendorfer als Zeitzeuge immer wieder vor interessierten Schülern. Diesmal ist es der Geschichtsleistungskurs des Überruhrer Gymnasiums, der ihn eingeladen hat. Die Jugendlichen sind äußerst gebannt und interessiert, als Schäfer lebendig, anschaulich und sehr offen seine Biografie vorträgt. Die ähnelt vielen Lebensläufen aus dieser Zeit.

„Mein Vater gehörte als Teilnehmer des Ersten Weltkrieges zur Verlierergeneration. Als Hitler 1933 an die Macht kam, trat er sofort aus der Kirche aus und in die SA ein.“ Und er sorgte dafür, dass seine beiden Söhne körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft erzogen wurden. Dazu gehörte auch das Kriegsspielzeug, das Wolfgang Schäfer und sein vier Jahre älterer Bruder vom Vater bekamen. „Damit konnten wir wunderbar Krieg spielen“, erinnert er sich.

Spielzeug-Haubitze mitgebracht

Als einziges hat die große Haubitze überlebt: Die hat Schäfer ins

© Christof Köpsel

Gymnasium mitgebracht und schießt zum Erstaunen der Schüler Papierkügelchen durch den Schulraum. Nicht nur beim Spiel mit dem Feldgeschütz, auch wenn der 86-Jährige über seine Kindheit beim Jungvolk spricht, schimmert immer noch ein wenig die kindliche Begeisterung durch. Spiel, Sport, Wettkampf, Wandertage und Sommerlager – das hat ihn geformt und beeindruckt und zeigt, wie es den Nationalsozialisten gelang, auch Kinder und Jugendliche für ihre Interessen zu gewinnen.

„Ich habe den zehnten Geburtstag heiß ersehnt. Da durfte ich endlich zum Jungvolk“, bekennt Schäfer offen. Noch stärker war sein älterer Bruder Hans-Jürgen fanatisiert: „Der war Fähnchenführer bei der Hitlerjugend und am Kriegsende nur zwei Schritte vom Heldentod entfernt: Er schoss auf die einmarschierenden Amerikaner.“ Nur seine Jugend verhinderte Schlimmeres, sie verschonten ihn.

Hans-Jürgen und Wolfgang Schäfer in Winteruniform 1944 in Lippstadt.
Hans-Jürgen und Wolfgang Schäfer in Winteruniform 1944 in Lippstadt. © Christof Köpsel

Zwei Schritte vom Tod war auch Wolfgang Schäfer entfernt, als ein paar Meter vor ihm Granatensplitter vom Himmel regneten. Das war in Lippstadt, wo er 1942 mit seiner Mutter und dem Bruder nach dem ersten großen Luftangriff auf Essen bei den Großeltern unterkam. Dort blieb der Krieg lange unsichtbar, bis 1945 auch an der Lippe die Bomben fielen.

Repressalien, Drill und Zwang

Repressalien, Drill und Zwang hat Schäfer nach eigenen Angaben selten erlebt oder anders bewertet. „Wer zu spät kam, oder Unsinn machte, musste zur Strafe vor allen anderen Liegestützen und Kniebeugen machen.“ Dass sein jüdischer Nachbar und Spielkamerad von der Essener Goethestraße samt seinen Eltern von einem auf den anderen Tag verschwand, wurde in Schäfers Familie einfach nicht thematisiert. Auch nicht die Arbeit des Vaters, der als Architekt nicht nur den Luftschutzbunker an der Freiheit, sondern auch die unterirdischen Anlagen mit plante und baute, in denen die Nazis Zwangsarbeiter ihre sogenannten „Wunderwaffen“ V1 und V2 bauen ließen.

Nach dem Krieg wurde der Vater lediglich als Mitläufer eingestuft und ging, wie viele Deutsche, kommentarlos zur Tagesordnung über. Nur als sein ältester Sohn eine komplette Kehrtwende vollzog und mit einem Theologiestudium begann, kam es zum Streit zwischen Vater und Sohn.

Feldpostkarten des Vaters

„Leider starb mein Vater, als ich gerade 23 war. So hatte ich keine

Daran erinnert sich Wolfgang Schäfer noch gut: 1944 wurde er in Lippstadt als „Jungstammbester“ im Dreikampf geehrt.
Daran erinnert sich Wolfgang Schäfer noch gut: 1944 wurde er in Lippstadt als „Jungstammbester“ im Dreikampf geehrt.

Gelegenheit mehr, mich mit ihm über die Zeit des Nationalsozialismus und seine politische Gesinnung auseinanderzusetzen“, bedauert Wolfgang Schäfer. Er selbst hat erst spät angefangen, sich mit seiner Geschichte zu beschäftigen. Seine Erinnerungen hat er nach der Pensionierung aufgeschrieben - nicht nur für die eigenen Enkelkinder, sondern für alle Kinder und Jugendlichen. „Solange ich kann, ist es mir ein großes Bedürfnis, über diese Zeit Zeugnis abzulegen. Damit so etwas nie wieder passiert.“

Den Überruhrer Schülern hat er versprochen, wiederzukommen. Dann will Wolfgang Schäfer die gesammelten Feldpostkarten mitbringen, die sein Vater während des Ersten Weltkrieges verschickte.