Essen-Frohnhausen. Sechs Künstler schlossen sich 1980 in einem Atelier in Essen-Frohnhausen zusammen. Unter dem Namen „Aqua-Tinta“ stellen sie Radierungen her.

Im Hinterhof in Essen-Frohnhausen an der Krefelder Straße 21 hat Peter Drolshagen vor fast 40 Jahren mit zwei weiteren Künstlern die Radierwerkstatt „Aqua-Tinta“ in einer ehemaligen Schlosserei gegründet. 1952 in Bochum geboren, studierte er von 1975 bis 1980 Freie Grafik an der Folkwangschule in Essen. „Ich habe hier die ersten Radierungen geätzt, als noch kein Dach auf dem Atelier war“, erzählt er. Estrich und Fußboden hat er selbst verlegt und ist bis heute einer von nunmehr sechs Mietern im Team.

Schon Albrecht Dürer nutzte vor 500 Jahren das Tiefdruckverfahren

Kreative Ideen setzt Drolshagen – ganz ohne Bleistift und Radierer - in einem traditionellen Tiefdruckverfahren um, das schon Albrecht Dürer vor 500 Jahren nutzte. „Ohne Dürer gäbe es die Druckgrafik nicht, der man in der Kunstgeschichte und der zeitgenössischen Kunst begegnet.“ Das künstlerische „Radieren“ kommt von dem lateinischen Verb „radere“, was „wegnehmen“ oder „kratzen“ bedeutet. Und genauso funktioniert die alte Drucktechnik.

Jannine Koch zeigt eine ihrer Arbeiten, die in der Radierwerkstatt entstanden ist.
Jannine Koch zeigt eine ihrer Arbeiten, die in der Radierwerkstatt entstanden ist. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Was ihren Reiz ausmacht? „Viele einzelne, handwerkliche Arbeitsschritte und ein Ergebnis, das sich vorher nie hundertprozentig voraussagen lässt“, beschreibt Marianne Goldbach, 1976 in Hamburg geboren. Lange schon lebt sie in Mülheim. Zum Jubiläum der Radierwerkstatt 2020 ist sie zehn Jahre im Team. Neben Druckgrafiken auf handgeschöpftem Büttenpapier erstellt sie Kunstobjekte aus Papier und malt in Mischtechnik.

Im Osten Deutschlands hat die in Cottbus geborene Künstlerin Jannine Koch den Tiefdruck entdeckt. Mit 38 ist sie das Küken unter den alten Hasen, hat aber dafür wie Drolshagen einen akademischen Hintergrund. Nach zwei Jahren Lehramtsstudium an der Universität Leipzig sattelte sie 2003 auf Malerei und Grafik an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (HGB) um und machte ihr Diplom.

Einmal im Monat setzen sich die Mitglieder der Radierwerkstatt zusammen

Dass nicht alle Mitglieder der Radierwerkstatt Kunst studiert haben, stört niemanden. Unter Gleichgesinnten zählt die Freude an der Arbeit. „Man profitiert sehr voneinander“, findet Koch und die anderen stimmen ihr zu. Einmal im Monat kommen alle zum Austausch ins Atelier. Das liegt mitten in Frohnhausen, aber erstaunlich ruhig mit Blick auf einen verwunschenen Garten im Innenhof. „Im Sommer sitzen wir gern draußen“, sagt Drolshagen.

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Bei einem Kaffee oder einem Glas Wein könne man die Zeit schnell vergessen. Durch die Hintertür geht es außen am Atelier vorbei und dann ein paar ausgetretene Stufen runter in die „Kammer des Schreckens“, wie Drolshagen witzelt. Hinter der Tür verbirgt sich der so genannte Ätzraum. Ein strenger Geruch steigt in die Nase. In dem engen Keller werden die entfetteten Druckplatten mit pulverisiertem Baumharz (Kolophonium) bestäubt. Das geschieht in einem Staubkasten, in dem der am Boden liegende Staub durch ein seitliches Blasrohr aufgewirbelt wird. So kann er sich gleichmäßig auf der Platte ablagern.

Die alten Maschinen wirken wie aus einer anderen Zeit. Sie sind jedoch vielseitig einsetzbar.
Die alten Maschinen wirken wie aus einer anderen Zeit. Sie sind jedoch vielseitig einsetzbar. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Anschließend wird die Druckplatte von unten erhitzt, die Harzkörnchen schmelzen darauf an. Das Ziel ist eine Oberfläche, die feinem Schleifpapier ähnelt. Vor den einzelnen Ätzgängen, die wenige Sekunden oder auch 30 Minuten dauern, wird Abdecklack auf die Metallplatte aufgetragen. Dann legt der Künstler sie in eine Wanne im hüfthohen Säurebecken an der Wand gegenüber. Die Stellen, die weiß gedruckt werden sollen, pinselt der Künstler damit ein. In die Vertiefungen wird später oben im Atelier die gewünschte Farbe aufgebracht. Dort wird auch gedruckt, meist auf großen Bögen Büttenpapier.

Die Werkstatt ist bei der Kunstspur dabei

Wer das sehen will, kommt zur nächsten Kunstspur vorbei. Dann steht die Kunstwerkstatt, wie andere im ganzen Stadtgebiet, interessierten Besuchern wieder einen Tag lang offen. „Dass wir 2019 sogar Oberbürgermeister Thomas Kufen empfangen konnten, war eine besondere Ehre“, sagt Ellen Schierling-Weinreich. Die Essenerin arbeitet seit 1999 mit. In ihren Werken schöpft die Autodidaktin aus der Formenvielfalt der Natur, setzt sich aber auch mit Texten auseinander. Oft legt sie Serien an, druckt mehrere Blätter, die sie farblich und kompositorisch variiert, immer nur in kleinsten Auflagen.

Manche halten die Künstler in der Radierwerkstatt für Dinosaurier

Seit 20 Jahren bringen die Künstler einen Kalender heraus

Seit bald 40 Jahren gibt es das Atelier, seit 20 Jahren bringen die Künstler von „Aqua Tinta“ einen Kalender heraus. 2021 werden Blätter zum Thema Zirkus erstellt. Die anfängliche Auflage von 40 hat die Ateliergemeinschaft auf 130 Stück erhöht.

Jeweils Ende November wird der Kalender zur traditionellen Jahresausstellung in der Radierwerkstatt an der Krefelder Straße 21 vorgestellt. Er kostet 65 Euro und gilt seit vielen Jahren als Liebhaberstück.

Gegenständlich und abstrakt sind die Werke von Ursula Hein-Heusen. Sie spielt gern mit den Möglichkeiten der Druckgrafik. Inspirationen findet die 1960 geborene Folkwang-Absolventin unter anderem auf Reisen. Nach 39 Berufsjahren als Ingenieur bei Siemens ist Gerd Glöß aus Essen bei „Aqua Tinta“ in eine Künstlerkarriere gestartet. Er fertigt ausschließlich Linolschnitte an, früher stand auch er gern an der rund 120 Jahre alten Druckpresse mit dem großen Handrad. Die übernahm das Atelier von der Folkwang-Universität. „Manche halten uns für Dinosaurier“, sagt Koch mit einem Lachen. Und Drolshagen fügt hinzu: „Dabei können wir alles – von abstrakter Kunst über Experimentelles und Karikaturen bis hin zu realistischen Darstellungen.“

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