Essen.
Der Liedermacher Reinhard Mey gastierte vor ausverkauftem Haus in der Philharmonie. Meys warmes, weiches Timbre sind wohl wie immer, doch die Texte auf seinem aktuellen Album „Mairegen“ sind nachdenklicher geworden.
„Da bin ich wieder.“ Gern leitet Reinhard Mey seine Konzerte mit diesen vier Worten ein, sagt er, „denn es gibt mir das Gefühl, dass ich genau an der Stelle weitermache, wo ich das letzte Mal aufgehört habe.“
Doch der wohl bekannteste deutschsprachige Chansonnier und Liedermacher, er klingt anders als früher. Meys warmes, weiches Timbre sind wohl wie immer, doch die Texte auf seinem aktuellen Album „Mairegen“ sind nachdenklicher geworden. Weich und zugleich kraftvoll, melancholisch und milde erzählt Mey damit musikalische Geschichten, die einen Bruch in seinem Leben hörbar machen, die entstanden sind, nachdem sein Sohn vor zwei Jahren ins Wachkoma fiel.
Umso erstaunlicher sind Meys grenzenlos scheinender Optimismus, sein noch immer liebevoller Blick auf den Alltag, auf Dinge, die neben der Norm liegen. Von „Männern im Baumarkt“ und einer skurrilen Liebe fürs „Zargen zargen“ singt er, von der Sinnsuche erzählt „Wir sind eins“. Längst sind seine Konzerte mehr als Liedvorträge, bei denen er sich aus einem Repertoire von nahezu 500 Titeln bedienen kann. Mit einer Mischung aus Lesung, Liedvortrag und druckreifen Pointen unterhält der „alte Liedermachervater“ charmant amüsant.
Sympathie für das Anderssein
Wie ein roter Faden ziehen sich Meys Sympathie für das Anderssein („Selig sind die Verrückten“), für Mitmenschlichkeit („Frau Antje“) und die Widrigkeiten des Alltags („Ficus Benjamini“) durch das Repertoire des Abends in der Philharmonie. Und so ertappt man sich bei der Frage: Kann der Mensch da vorn, der trotz aller Erfolge noch immer bescheiden, fast demütig in Cowboystiefeln und schwarzer Jeans auf die Bühne tänzelt, über all die Jahre wirklich diesen liebevollen Blick auf Leben und Mitmenschen bewahrt haben?
Nun, zumindest wirkt Mey authentisch. Und das seit Generationen, wie ein Blick in die ausverkaufte Philharmonie zeigt. Über die Jahrzehnte hat der Liedermacher Fans um sich gesammelt. Damen mit grauem Haar sitzen in den Rängen, derweil Meys politische Lieder („Sei wachsam“) „in Stuttgart, der Wiege der Aufständischen“ und im Wendland beim Castor-Transport von jüngerem Publikum angestimmt werden.
Dass aber auch der bekennende Tierschützer, Pazifist und Vegetarier Mey hadert, erzählt schließlich das Lied „Drachenblut“, das seinem Sohn gewidmet ist. „Ein Liedschlag nur, ein Augen-Blick, ein Zeichen ist geblieben. Und die Entschlossenheit, Dich in die Welt zurück zu lieben.“ Vielleicht das Geheimnis von Meys Erfolg: Kleine, in sich geschlossene Geschichten, in denen man sich oder andere Menschen wiederfindet.