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Choreografin Meg Stuart zeigt ihr neues abendfüllendes Stück „Violet“ in einer Weltpremiere in Pact Zollverein. Die Tanzperformance ist voller Leidenschaft, lebt extrem von der Körperlichkeit und dem Chaos.
Sie ist zierlich, hat einen zarten Händedruck und eine dunkle Stimme. Die Choreografin Meg Stuart, eine der großen Künstlerpersönlichkeiten des zeitgenössischen Tanzes, vereint Gegensätze in sich und in ihren höchst unterschiedlichen Arbeiten. Bei ihrem neuen abendfüllenden Stück „Violet“ ist es nicht anders. Nach zwei harten Wochen Endproben auf Pact Zollverein wird es am Donnerstag ebendort uraufgeführt.
Gegen 11 Uhr trudelt das 22-köpfige Team ein. Der Tag beginnt mit Kundalini-Yoga für die Choreografin und die fünf Tänzer ihrer Kompanie „Damaged Goods“, es folgen acht Stunden Probe, unterbrochen von einem Essen, das sie gemeinsam kochen. „Es ist sehr familiär hier“, sagt Meg Stuart.
Sie weiß die Möglichkeiten von Pact seit Jahren zu schätzen, stellt regelmäßig ihre Werke vor. „Die Arbeitsbedingungen sind sehr gut. Du bekommst einen Schlüssel und kannst das Stück bis zum Ende auf der Bühne zu erarbeiten. Gerade weil der Ort nichts Liebliches hat, kannst du dich auf die Arbeit konzentrieren. Und trotz der Abgeschiedenheit in der Probenphase bist du stets ein Teil der europäischen Tanzszene“, lobt sie das Künstlerhaus uneingeschränkt.
Von Tornado-Video inspiriert
Die Karriere der gebürtigen Amerikanerin begann als Tänzerin in New York und führte sie Mitte der achtziger Jahre als Choreografin nach Europa. Heute lebt sie in Berlin, arbeitet in Brüssel. Allein 25 abendfüllende Stücke hat sie in 25 Jahren herausgebracht neben vielen Projekten. Und fast immer geht es um Defekte, um Brüche im menschlichen Leben. Sie kooperiert gern mit Vertretern anderer Kunstformen, hat sich wiederholt mit Theatermachern wie Christoph Marthaler oder Stefan Pucher, Autor Tim Etchells oder Musikern wie Hahn Rowe zusammengetan. Das prägte ihre Arbeit.
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Nun entsteht nach dem theatralen „Do Animals Cry“ ein abstraktes Stück. „Violet“ ist jedoch nicht distanziert. Der Titel steht für die Farbe der Spiritualität und der größten Intensität im Farbspektrum, bevor das Unbekannte eintritt. Die Tanzperformance ist voller Leidenschaft, lebt extrem von der Körperlichkeit und dem Chaos. „Die Bewegung ist der Motor“, so Meg Stuart. Sie hat keinen Text, kein Video, keine opulent ausgestattete Bühne, keine aufwendigen Kostüme, aber Live-Musik von Brendan Dougherty, der sie mit Perkussion und elektronischen Klängen zu einem „Tanz-Konzert“ macht.
Inspiriert wurde Meg Stuart von einem Video, bei dem ein Mann in einen Tornado gerät, von einer Reise nach Rio, bei der sie sah, wie die Landschaft dem Chaos dieser Stadt eine Form gibt, und dem Erlebnis eines großen Konzerts. „Ausgangspunkt auf der Bühne war die Suche nach energetischen Mustern“, erzählt sie. Fünf Individuen mit fünf ganz eigenen Qualitäten haben sich in die Improvisation gestürzt - und „sind bis an den Rand ihrer Fähigkeiten und der Erschöpfung gegangen“.
„Ich lerne viel über ,Star Wars’ und Fußball“
Deshalb soll es direkt nach der Premiere keine Feier geben. Am nächsten Tag steht noch eine Aufführung an, die sonst kaum zu bewältigen wäre. Dann geht „Violet“ auf Tour. Rund 40 Termine sind schon fest, unter anderem beim renommierten Festival d’Avignon ist es zu sehen. Derweil tritt die Faust-Preisträgerin selbst mit „Faultlines“ auf und bereitet ein neues Stück für die Münchner Kammerspiele vor, an dem auch ihr Bruder, der Schauspieler Davis Freeman, beteiligt ist.
Neben all diesen beruflichen Aktivitäten pflegt die 46-Jährige durchaus ihr Privatleben. „Ich lese, gehe ins Theater, ins Kino, wie andere auch. Ich bin eine alleinerziehende Mutter, verbringe viel Zeit mit meinem achtjährigen Sohn und lerne viel über ,Star Wars’ und Fußball“, meint sie lachend. Momentan passt die Großmutter auf ihn auf. Es ist wie bei anderen auch. Nur dass sie eigens dafür aus North Carolina angereist ist.