Essen.

Neben Berlin war es die Städte-Landschaft an der Ruhr, die über Jahrzehnte Schauplatz der architektonischen und städtebaulichen Moderne war. Anlass für das Museum Folkwang, der Stadtbaukultur eine eigene Ausstellung zu widmen.

Der Kurator der Ausstellung, Hans-Jürgen Lechtreck. Foto: Walter Buchholzl
Der Kurator der Ausstellung, Hans-Jürgen Lechtreck. Foto: Walter Buchholzl © WAZ FotoPool

„Stadtbaukultur in Essen und im Ruhrgebiet - das wird aber eine kleine Ausstellung.“ So oder ähnlich könnten Spötter reden, wenn sie von der ab Samstag geöffneten Schau „Urbanität gestalten“ im Museum Folkwang erfahren. Doch sie irren. Neben Berlin war es die Städte-Landschaft an der Ruhr, die über Jahrzehnte Schauplatz der architektonischen und städtebaulichen Moderne war. „Ich war selbst verblüfft über das Ausmaß an neuen Ideen, die entweder hier entstanden oder hier erstmals realisiert wurden“, sagte gestern der Kurator der Ausstellung, Hans-Jürgen Lechtreck.

Essen als wichtigste und zeitweise experimentierfreudigste Stadt des Ruhrgebiets ist mit besonders vielen Fotos, Zeichnungen, Original-Plänen und Plakaten vertreten. Um 1900, in der Ära des bedeutenden Oberbürgermeisters Erich Zweigert und des legendären Stadtbaurats Robert Schmidt, begann hier der ernsthafte Versuch, den industriebedingten Wildwuchs beim Städtebau zu stoppen und dem Gebäude-Brei eine menschenfreundliche Ordnung zu verpassen. Die Bewahrung noch vorhandener Grünzüge, aber auch der Bau leistungsfähiger Straßen bildeten das Raster, das dann im Idealfall mit innovativer Reformarchitektur ausgefüllt werden sollte.

Natürlich haben sich nicht alle Träume erfüllt. Doch bis Anfang der 1930er Jahre, zum Teil darüber hinaus, entstanden immerhin die noch heute als vorbildlich geltenden Ensembles und Gebäude, von denen viele bis heute überlebten: die Krupp-Siedlungen mit der Margarethenhöhe als Höhepunkt, das Moltkeviertel, die modernen Büro- und Verwaltungsbauten wie die Börse (später Haus der Technik), die Zentrale des Ruhrsiedlungsverbands (heute RVR) oder das Deutschlandhaus.

Der Furor der Moderne wich einem Furor der Skepsis

Die Ausstellung arbeitet sich etappenweise durch den Städtebau im Ruhrgebiet. Foto: Walter Buchholz
Die Ausstellung arbeitet sich etappenweise durch den Städtebau im Ruhrgebiet. Foto: Walter Buchholz © WAZ FotoPool

Epochenweise arbeitet sich die Ausstellung vor, zeigt wie nach dem Zweiten Weltkrieg der Faden wieder aufgegriffen wurde - mit deutlich weniger Gefühl für das menschliche Maß, nicht selten getrieben durch ideologischen Hass auf die gewachsene Stadt, die sich dem Rechte-Winkel-Denken der Stadtplanung zu widersetzen wagte. Der letztlich realisierte Bau der Autobahn A40 gilt vielen in Essen bis heute als Mahnmal dieses Denkens, auch die Stadtteilsanierungen vor allem in Steele ließe sich nennen.

In allen Ruhrstädten kann man ähnliche Brutalitäten besichtigen, und in Wulfen, im nördlichen Rand des Reviers, feierte gar die „Neue Stadt“ ihre Geburt, in der - unausgesprochen - der „Neue Mensch“ leben sollte. Dem alten Adam graute aber letztlich davor, in Wohnwaben zu hausen - Wulfen scheiterte und andere fiebrige Phantasien, wie etwa eine wabenähnliche Terrassensiedlung an der Halde Langenbrahm in Rüttenscheid wurden zum Glück niemals Realität.

Mitte der 1970er Jahre schlug das Pendel zurück, und wie: Um putzige Zechenhäuschen, gestern noch gnadenlos niedergerissen, wurde nun erbittert gekämpft bis sie schließlich vielerorts zu Denkmälern mutierten. Für eine der schönsten Essener Krupp-Siedlungen, dem Altenhof I in Rüttenscheid, kam der neue Zeitgeist zu spät, für andere zumal im Norden der Stadt gerade noch richtig. Der Furor der Moderne wich einem Furor der Skepsis - und dieser hat sich im Grunde bis in die Gegenwart gehalten. Vieles, was etwa im Zuge der vielgelobten Internationalen Bauausstellung Emscherpark entstand, gehorcht dem Versuch, im Städtebau den Fortschrittsglauben mit der Liebe zum Alten und Gewohnten zu versöhnen. Mit wechselndem Erfolg.

Urbanität ist ein schillernder Begriff

Klar wird jedenfalls: Urbanität ist ein schillernder Begriff, der im Ruhrgebiet eine eigene Definition benötigt. Das gilt stellenweise auch für eine Stadt wie Essen, die neben Dortmund am ehesten Strukturen der klassischen Stadt besitzt - zur Freude der meisten Bürger. Eine „Zwischenstadt“, als die die Ruhr-Einheitsverfechter die Ruhr-Städte gerne abqualifizieren, ist Essen jedenfalls nicht. Das zeigt auch diese Ausstellung.

Das Grundinteresse für Stadtplanung und Architektur vorausgesetzt, macht es Spaß durch diese Ausstellung zu schlendern, die zu ihrem Vorteil sich nicht im Alten erschöpft, sondern den Bogen bis in die Gegenwart schlägt. Und: Wo derlei eher trocken-wissenschaftliche Ausstellungen in der Präsentation oft einen sehr selbstgestrickten Eindruck machen, wird im Folkwang die gewohnte Qualität geboten.

Räumlich ist „Urbanität gestalten“ im neu gestalteten Untergeschoss des Altbaus untergekommen, das dank der großzügigen Hilfe der Kulturstiftung Essen saniert werden konnte. Und wieder darf man melden: Ein schöner, ein passender Rahmen für genau diese Art von Ausstellungen.