Essen-Werden. Die Heimatforscherin Monika Reich-Püttmann lädt zu Spaziergängen durch Essen-Werden ein. Jetzt war sie mit einem besonderen Gast unterwegs.
Sie weiß Geschichten und Geschichte mit viel Herzblut zu erzählen. Die Rede ist von der Heimathistorikerin Monika Reich-Püttmann. Wer mit ihr durch Werden spaziert, kann sich ausgiebig über die Entwicklung des Ortes informieren, den sie wie ihre Westentasche kennt. Jetzt war die Werdenerin mit einem besonderen Besucher unterwegs und zwar mit Pater Laurentius, emeritierter Abt des Klosters Gerleve. Er genießt für ein halbes Jahr die Gastfreundschaft der Gemeinde St. Ludgerus.
Kloster Gerleve hat viele Bezüge zu Werden
Heimatforscherin kennt viele Anekdoten aus der Geschichte
Die Ur-Werdenerin Monika Reich-Püttmann ist Ehrenmitglied im Bürger- und Heimatverein. Regelmäßig führt sie für den Verein Besuchergruppen durch die schöne Abteistadt Werden.
Mit im Gepäck beim etwa zweistündigen Altstadtspaziergang hat sie jede Menge „Geschichte und Geschichten“, darunter so manches Döneken.
Sie weiß, wovon sie spricht: „Meine Familie ist seit dem 17. Jahrhundert hier ansässig.“
Termine, Teilnehmerzahlen und Kosten erfährt man bei Monika Reich-Püttmann, Dückerstraße 2 in 45239 Essen-Werden, 492541.
Der Benediktinermönch ließ sich nur zu gerne zu einem Altstadtspaziergang einladen. Die Gastgeberin bringt die benediktinische Äbtissin Hildegard von Bingen ins Spiel: „Sie war 1163 in Werden und hat ein Lied über Ludgerus verfasst.“ Der Heilige erwarb in Werden systematisch Besitz und gründete schließlich sein Eigenkloster. Am 18. Januar 799 wird erstmals „Uuerethinum“ erwähnt. Pater Laurentius nickt: „Unser Kloster hat viele Bezüge zu Liudger. Wir haben eine echte Rippe des Heiligen, die in einem wunderbaren Reliquiar verwahrt wird. Die berühmte Werdener Bibliothek lagerte lange Jahre in Gerleve. Die uralten Bände habe ich als junger Mann gerne in die Hand genommen.“ Nun stehen sie in der Werdener Schatzkammer.
Die Bedeutung des Ortes stellt die Lokalpatriotin auch gleich zu Beginn der Tour heraus und betont: „Ich ärgere mich sehr, wenn die Leute von einem Dorf sprechen. In Werden liegen die Wurzeln der Kultur des Ruhrgebietes. Das Skriptorium des Klosters war weltberühmt. Hier gaben sich kirchen- und auch geistesgeschichtlich höchst interessante Figuren die Klinke in die Hand.“
Stadtteil weist spannende Industriegeschichte auf
Auch industriegeschichtlich sei Werden hochinteressant, erzählt Reich-Püttmann. Im Jahr 1424 entstand ein kleines, aber reich vergoldetes und illuminiertes Maschinenbuch. Autor war der Mönch Konrad Gruter, Sohn einer Werdener Bierbrauer-Familie. Vor der Geburt Leonardo da Vincis beschäftigte sich Gruter ausführlich mit Mühlentechnik, in Werden mit seinen vielen Bächen gab es genug Anschauungsmaterial. Um 1800 wurden hier sage und schreibe 82 Schürfstellen für Kohle gezählt: „Wir streiten uns mit Bochum, wo denn die Wiege des Kohlebergbaus im Revier stand.“ Später gewann die Textilindustrie an Bedeutung.
Der Pater ist Kirchenmusiker und Monika Reich-Püttmann strahlt: „Dann sind Sie in Werden genau richtig. Die Mehrstimmigkeit soll hier im Kloster erfunden worden sein.“ Die vom Hof aus sichtbare Apsis der Gefängniskapelle erinnert an ein düsteres Kapitel Werdener Historie. Typhus, die schwere Arbeit in der Tretmühle, ein unwürdiges Vegetieren im preußischen Zuchthaus: „Durch das Tor der Gefängnismauer gingen mehr herein, als wieder lebendig herauskamen.“
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Die Spaziergänger biegen um zwei Ecken und blicken auf die Basilika. Monika Reich-Püttmann ist nicht zu halten: „Wenn ich hier stehe und schaue, ergreift es mich immer wieder.“
Papst Johannes Paul II. mochte diese Kirche so sehr, dass er ihr den Titel Basilica minor gab. Drinnen singt Pater Laurentius spontan einen Psalm. „Ihr Völker alle, klatscht in die Hände“ hallt aus und sein Publikum klatscht euphorisch.
Besondere Rolle des Baldeneysees
Weiter geht es durch Werden. Der Julius-Hecker-Platz erinnert an den 1707 in Werden geborenen Erfinder der preußischen Realschule: „Julius Hecker war quasi der Kultusminister vom alten Fritz.“ Im Haus Fuhr stößt man auf Felix Mendelssohn-Bartholdy. Der schrieb er über Werden: „Ein liebreizend gelegener Ort.“ An der Heckstraße fällt der Blick aufs Püttmannsche Elternhaus: „Das hier war unser Revier als Kinder.“ In der Hufergasse ist das Romanische Haus der Herren von Rüttenscheid aus dem 12. Jahrhundert ein stummer Zeuge früherer Wetterkatastrophen. Sobald im Sauerland Schneeschmelze war, war hier Hochwasser. Erst durch die Aufstauung des Baldeneysees ist die Überschwemmungsgefahr weitgehend gestoppt worden.
Irritierende Jahreszahl an einem der schmalsten Gebäude Deutschlands
Zu Ende des Spaziergangs wartete noch ein Überraschungsmoment, gelangten die Heimathistorikerin und der Abt doch zur Kemnate und damit der Fassade eines Gebäudes, das als eines der schmalsten Häuser Deutschlands gilt und aus dem Jahr 1336 stammen soll. Monika Reich-Püttmann schüttelt den Kopf: „Da sind wir im Geschichtsunterricht auch noch drauf reingefallen.“ Sie erklärt: „Einst sollte ein Malerlehrling die Fassade streichen und eine Jahreszahl drauf schreiben. Da hat er den Besitzer gefragt, der hat dann zur Hausnummer Grafenstraße 36 das Jahrhundert dazu gedichtet.“
Nachdem sich der Geistliche für den „informativen wie vergnüglichen Spaziergang“ bedankt hat, überreicht ihm Monika Reich-Püttmann als Geschenk das Buch „Werden 2010 - Eine Chronik im Kulturhauptstadtjahr“, an dem unter anderen Felicitas Kapteina und Gereon Buchholz mitgeschrieben haben. Man verspricht sich, in Kontakt zu bleiben.