Essen-Werden. . Mitarbeiterin Kirsten Gnoth geht in Essen-Werden auf die Jagd nach den virtuellen Monstern. Rund um die Basilika finden sich viele Stops, an denen nützliche Hilfsmittel eingesammelt werden. Ein Trip zu besonderen Orten.

Lautstark versucht der Obsthändler seine letzten Apfelsinen an den Mann zu bringen, während an einem anderen Stand Brot und Brötchen über die Theke gereicht werden. Auf dem Markt neben der St.-Ludgerus-Basilika herrscht am Samstagmittag emsiges Treiben. Doch die Einkäufer sind nicht allein. Von vielen unentdeckt, tummeln sich zahlreiche freche Monster auf dem Vorplatz der Basilika. In Werden sind die Pokémon los. Monster-Jäger können auf einer Tour durch den Stadtteil ordentlich abräumen. Mitarbeiterin Kirsten Gnoth verfolgte die Spur der japanischen Kultfiguren.

Der Akku des Smartphones zeigt 100 Prozent. Das Auto ist kostenfrei oberhalb der Basilika im Herzen von Essen-Werden abgestellt und in den Fingerspitzen kribbelt es schon. Ich möchte auf die Jagd gehen und zwar nach virtuellen Tierchen. Einmal Pokémon Go auf dem Handy gestartet und schon kann es los gehen. Schnell entpuppt sich das Gebiet rund um die Basilika als wahre Fundgrube. Gleich drei sogenannte Pokéstops liegen nur wenige Schritte jenseits des Parkplatzes.

Ab in den virtuellen Rucksack

Sie alle sind in unmittelbarer Nähe zueinander und damit ein absolutes Mekka für Pokéfans. Die markanten Punkte brauchen Spieler nämlich, um den virtuellen Rucksack mit allerlei nützlichen Hilfsmitteln zu füllen. Mit einem Fingerwisch über das Display purzeln auch bei mir Pokébälle zum Fangen der Tierchen, Tränke zum Heilen meiner Begleiter und Himmihbeeren zum Bestechen der kleinen Monster in die Tasche. Etwa alle fünf Minuten kann ein solcher Stop wieder aktiviert werden. So können sich Spieler bereits am Rand der Innenstadt an den Pokéstops „Hortulus Werdenesis“, „Brückstraße Alte Stadtmauer“ und „Stadtwappen“ für die Jagd ausstatten.

Mit vollen Taschen stelle ich erstaunt fest, dass die Basilika selbst auf der comichaften Karte als Kampfarena angezeigt wird. Mit einem Klick auf das Display könnte ich meine stärksten Monster gegen andere antreten lassen und so einige Münzen dazu verdienen. Arenakämpfe lassen mich jedoch kalt. Ich gehöre eher zu den Jägern und Sammlern, die sich bei jeder Handyvibration freuen, wie kurz vor der Bescherung an Weihnachten.

Weitere Pokémons schlüpfen

Mit jedem Schritt jagt man nicht nur die kleinen Monster, es füllt sich auch die Kilometeranzeige unter den Pokéeiern. Diese können mit etwas Glück ebenfalls in einem Pokéstop warten. Es gibt sie in der zwei, fünf und zehn Kilometer Variante. Spieler müssen die jeweilige Strecke hinter sich bringen, bis aus dem Ei etwas schlüpft. Je mehr Kilometer es sind, desto seltener sind die Pokémon.

Austricksen kann man das System übrigens nicht, denn es merkt schnell, wenn Jäger nicht zu Fuß unterwegs sind. Ab einer Geschwindigkeit von 17 Kilometer pro Stunde zeigen die Eier dem Spieler ihre harte Schale und werden nicht mehr ausgebrütet.

Wie aufs Stichwort kommt ein kurzes Signal durch das Telefon. Ein Blick verrät, dass ich Evoli, eine Art Hund mit langen Hasenohren, aufgeschreckt habe. Lange hat es nicht gedauert, denn rund um die Basilika, wie auch im ganzen Werdener Innenstadtbereich, wimmelt es nur so vor Pokémon.

Jetzt muss es allerdings schnell gehen, bevor sich das eher seltene Evoli wieder aus dem Staub macht. Kurz mit einer schmackhaften Himmihbeere bestechen und schon fliegt der erste Pokéball in Richtung des possierlichen Tierchens.

Geschichte und Kultur

Mit einem Klack schließt sich die Falle und Evoli kommt in meinen Fundus. Mit einem zufriedenen Lächeln und offenen Augen marschiere ich hinunter zur Ruhr. Die Landschaft direkt am Wasser gegenüber der Brehminsel ist für uns Menschen ein Idyll, doch die kultigen Sammelobjekte scheinen der Aussicht nichts abgewinnen zu können. Die App verrät mir, dass sich nur eines in meiner nahen Umgebung befindet. Während Pokémon Go auf dem Handy weiter tuckert, genieße ich bei einem Spaziergang am Ruhrufer die Sonne. Durch die Altstadt geht es wieder hinauf zur Basilika. Ich habe nicht nur zahlreiche neue Tierchen gefangen, sondern als bergisches Mädchen auch den Essener Stadtteil näher kennen gelernt. Die Pokéstops sind nämlich meist an interessanten oder besonderen Orten zu finden, bei denen auch Fans von Geschichte, Kultur und Kunst auf ihre Kosten kommen.

Stadt hat ein Auge auf Pokémonjäger an sensiblen Orten 

Auch der benachbarte Stadtteil Kettwig entpuppt sich als perfektes Jagdrevier. Allein vor und hinter der Ruhrbrücke liegen rund sieben solcher Pokéstops. Dahinter verbergen sich aber nicht nur nützliche Sammelgegenstände, sondern auch bekannte Orte in der realen Welt, abseits von Pokémon und Co. Allerdings haben einige von ihnen einen makabren Beigeschmack.

Das Pokémon Go Entwicklerstudio Niantic Labs übernahm diese Punkte im Vorfeld aus dem Alternate-Reality-Spiel Ingress. Dort markierten die Punkte keine Stops, sondern Portale. Anwender konnten bei beiden Spielen Orte einreichen, die nach einer Überprüfung freigegeben wurden. Diese Funktion ist mittlerweile auf der Homepage des Entwicklers abgestellt worden. Manche Pokéstops sorgen allerdings bei Grün- und Gruga-Pressesprecher Eckhard Spengler für Kopfschütteln: „Das Spiel wurde im Juli freigegeben und mittlerweile zeigen sich einige Probleme. Gerade wenn es um Pokéstops an sensiblen Orten geht.“

Ein Pokestop vor einer Karte des Waldgebietes am Friedhof in Essen-Kettwig.
Ein Pokestop vor einer Karte des Waldgebietes am Friedhof in Essen-Kettwig. © FUNKE Foto Services

Nicht nur Grabstätten vom Pokémon-Wahn betroffen

Die Sprache ist von den nächtlichen Einbrüchen in den Gruga-Park. Doch auch einige Stops in Kettwig fallen nun in diese Kategorie. „Dass es solche Punkte auch auf dem Stadtwald-Friedhof gibt, war uns bisher nicht bekannt“, so Spengler. Insgesamt 14 solcher Stops liegen auf und um das Gelände herum verteilt. Zehn von ihnen markieren sogar Grabsteine, die mit einem Bild und einer Beschreibung auf dem Handydisplay erscheinen. Verbieten kann Spengler die Jagd dort allerdings nicht.

„Smartphones sind auf dem Friedhof erlaubt. Die Friedhofsatzung schreibt allerdings vor, dass man sich der Würde des Ortes entsprechend zu verhalten hat.“ Die Friedhofsmitarbeiter wurden angewiesen, nun ein Auge auf eventuelle Pokémon-Spieler zu haben. Außerdem kann sich die Stadt Essen, wie auch andere Städte in der Region, vorstellen Stops an sensiblen Orten entfernen zu lassen. „Die Probleme sind bei den Verantwortlichen angekommen“, erklärt Spengler. Es werde nach Möglichkeiten gesucht gegen solche Punkte vorzugehen.

In Kettwig sind jedoch nicht nur Grabstätten vom Pokémon-Wahn betroffen. Direkt in unmittelbarer Umgebung der Kriegsgräber liegt eine Pokémon-Arena. „Einige Menschen werden sorglos, was ihre Umwelt angeht“, seufzt der Pressesprecher. Doch er setzt auch auf den gesunden Menschenverstand der Spieler. Und dieser sollte eigentlich jedem Jäger und Sammler sagen, dass die Pokémonsuche auf einem Friedhof kein Spielspaß ist, sondern pietätlos.