Essen. . Im Essener Nachtexpress legt sich ein Betrunkener mit dem Busfahrer an, die Situation droht zu eskalieren. Aber die Fahrgäste greifen ein, vertreiben den Pöbler aus dem Bus. Fahrer Ulrich vom Berg ist so gerührt, dass er sich per Anzeige bei seinen Fahrgästen für ihre Zivilcourage bedankt.

Es ist noch mal gut gegangen. Es hätte auch anders kommen können. Wenn ihm die Fahrgäste nicht geholfen hätten. Ulrich vom Berg nimmt einen tiefen Zug aus seiner Zigarette und bläst den Rauch in die Küche. „Ich hatte fast Tränen in den Augen“, erzählt er, „zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, du bist nicht alleine.“ Als Busfahrer alleine im Streit mit einem Betrunkenen. Alleine in einer Auseinandersetzung mit einem aggressiven Menschen, deren Verlauf nie vorhersehbar ist.

Den Arm gebrochen

Ein Kollege aus Oberhausen hatte vor zwei Wochen weniger Glück. Ein Unbekannter schlug den 58-jährigen Mann zusammen und verletzte ihn so schwer, dass er um sein Augenlicht fürchten muss. „Normalerweise hilft dir niemand“, sagt vom Berg, „die Leute denken, das ist RTL, wenn du vorne Theater hast, die denken, das muss der regeln, das hat mit uns nichts zu tun und gucken nur zu.“ Sogar, als er sich vor Jahren beim Gerangel mit einem Mann den Arm brach, guckten die Leute zu. „Ich hatte panische Angst, es hat keinen gejuckt.“ Am 19. April, an einem Donnerstagabend, da war es anders. Der Ausnahmefall.

Ulrich vom Berg ist knapp 57, er ist verheiratet, er hat zwei erwachsene Kinder, lebt in einer Dreizimmerwohnung im Essener Norden. Wenn er spricht, verströmt er die sanfte Ruhe eines Geschichtenerzählers, der an jedem Lagerfeuer Karriere machen könnte: Man lehnt sich entspannt zurück und hört zu.

Seit 1980 kutschiert er Linienbusse durch die Stadt, seit 26 Jahren für die Essener Verkehrs AG. 2700 Euro verdient er, brutto. Vom Berg lenkt den Nachtexpress, Dienstbeginn nachmittags um fünf, Dienstende um viertel vor drei in der Früh, am Wochenende von 20 bis fünf Uhr. Das klingt nicht so, als ob man es freiwillig täte. Doch vom Berg will es so. „Ich bin in der Zeit entspannter, und es passt zu meinem Schlafrhythmus“, versichert er. Seine Frau, Sekretärin in einem Informatikunternehmen, sieht er „eigentlich nur am Wochenende.“ Er lächelt, bevor die Nachfrage kommt. „Es ist eine sehr gesunde Beziehung.“

"Kein furchterregender Typ, aber unberechenbar"

Am 19. April steuert er den NE 14 Richtung Kray, Mitternacht ist vorbei, an der Haltestelle Alfred-Krupp-Schule steigt ein junger Mann mit Zigarette und Bierflasche ein und bleibt im Türrahmen stehen. „Der war so 25 und hatte schon was getrunken“, erinnert sich vom Berg. Kein furchterregender Typ, aber unberechenbar, sagt vom Bergs Erfahrung. „Steigen Sie bitte ein, aber die Zigarette und das Bier müssen draußen bleiben“, habe er gesagt. Er sei ruhig geblieben, freundlich im Ton, das sei seine Art. Sein Arbeitgeber schult die Fahrer im Entschärfen drohender Konflikte.

Es hilft nur bedingt, vom Berg ist keine einschüchternde Erscheinung; der Mann schnippt die Kippe auf die Straße und hält die Flasche fest. Die Ampel schaltet zum zweiten Mal auf Rot. „Stell’ dich nich’ so an“, nuschelt er und baut sich vor vom Berg auf. Der kann die Tür immer noch nicht schließen und fragt nun auch noch nach der Fahrkarte. „Da hat er mich beschimpft, ich will die Wörter gar nicht wiederholen“, sagt vom Berg und schüttelt kaum merklich den Kopf. Die Lage ist angespannt, keiner will den Rückzug antreten, die Zeit verrinnt. Die Ampel zeigt schon wieder Rot.

„Wir wollen nach Hause, und der Fahrer wird hier nicht angemacht“

Plötzlich steht ein junger Mann, auch um die 25, neben vom Berg und fixiert den Angetrunkenen. „Wir wollen nach Hause, und der Fahrer wird hier nicht angemacht“, soll er gesagt haben, so hat es vom Berg in Erinnerung. Von hinten bekommt er Verstärkung. „Geh’ raus“, ruft ein anderer, „hau ab“, ist zu hören. Die Gemeinschaftsaktion zeigt Wirkung. Der Pöbler flucht, aber er steigt aus. Der Bus kann weiterfahren.

Vom Berg ist so gerührt, dass er am Morgen danach eine Dankesanzeige in der Zeitung aufgibt: „19.4.2012, 0.19 Uhr. Ich möchte mich für das couragierte Verhalten meiner Fahrgäste bedanken. Ein Busfahrer des Nachtexpresses“.

Ein Fall, der sich in keiner Statistik der Evag niederschlagen wird. Wenn Sprecher Jens Kloth sagt, „bei uns ist nix los“, dann meint er damit, dass es so gut wie keine Angriffe mit Verletzungen gibt. Aber der psychische Stress lässt sich nicht in Zahlen fassen. „Man rechnet oft mit dem Schlimmsten, wenn es zu Debatten mit Fahrgästen kommt, und das passiert relativ häufig“, sagt vom Berg, der sich dann selbst helfen muss: „Die Firma tut viel für uns, aber es kann ja nicht jeder Bus mit Begleitschutz unterwegs sein.“

Aggressionen nehmen zu

Und selbst die Kameras schreckten nicht jeden ab. „Als ich einer Rotznase mal gesagt hab’, er soll die Füße vom Sitz nehmen, das wird doch aufgezeichnet, da hat der die Kamera in den Mund genommen.“

Die Aggressionen, sie hätten deutlich zugenommen in den letzten Jahren. „Es gibt viele Fahrer, die seelischen Schaden genommen haben, sehr viele werden krank“, weiß vom Berg. „Die ganzen Beleidigungen, die wir uns anhören, besonders von Jugendlichen, die zu viel getrunken haben, das steckst du nicht immer weg, auch wenn du es verdrängst.“

Aussteigen will er trotzdem nicht oder kann es vielleicht auch nicht. Warum er trotz des Stresses fährt? „Das ist eine gute Frage“, sagt er, denkt einen Moment nach und bleibt die Antwort doch schuldig. Acht Jahre, bis zur Rente werde er wohl noch weitermachen, sagt Ulrich vom Berg und nippt am Kaffee. Genug geredet, die nächste Schicht steht an.

Wird schon gutgehen.