Ruhrgebiet. Gewalt gegen Mitarbeiter ist auch nach dem Todesfall in Brüssel bei Nahverkehrsunternehmen an Rhein und Ruhr kein großes Thema. Übergriffe gegen Fahrer oder Kontrolleure sind hier selten. Aber: Sie werden heftiger.
Nur wenige Wochen noch hatte Iliaz Tahiraj zu arbeiten; die Papiere, die ihm den Vorruhestand ermöglichen sollten, waren längst unterschrieben. Doch der 56-Jährige wird ihn nie erleben: Iliaz Tahiraj, „Superviseur“ beim Brüsseler Nahverkehrsunternehmen STIB, starb am Samstag nach einem Faustschlag – im Dienst. Und ganz Brüssel steht seither still: Alle Bus-, Tram und Metrofahrer traten nach dem Tod des Kollegen so entsetzt wie empört in Streik. Denn schon lange vor dem aktuellen Todesfall hatten sie die zunehmende Gewalt gegen sie beklagt. Allein 2010 waren in Brüssel 193 STIB-Mitarbeiter angegriffen worden (und 773 Passagiere).
Auch bei den Nahverkehrsunternehmen im Ruhrgebiet trauert man um den belgischen Kollegen, aber: „So wie um jeden, der auf tragische Weise ums Leben kommt“, sagt Sandra Bruns, Pressesprecherin der BoGeStra, nicht aus eigener Betroffenheit.
Fünf Krankmeldungen
„Denn Brüsseler Verhältnisse haben wir hier zum Glück nicht“, erklärt Bruns’ Pendant bei der Vestischen, Norbert Konegen. „Nur“ fünf Fahrer und Kontrolleure hätten sich in seinem Unternehmen nach tätlichen Übergriffen im vergangenen Jahr krankmelden müssen – „bei dreiundsechzig Millionen Fahrgästen!“. Dazu kamen 28 Fälle von Handgreiflichkeiten von Fahrgästen untereinander. Die Tendenz sei „eindeutig rückläufig“.
Ähnliches gilt für EVAG und BoGeStra, deren Sprecherin Sandra Bruns die Zahl der Übergriffe auf „nullkommanullnullirgendwas“ schätzt, sich aber sehr wohl an den letzten Fall erinnern kann: Da hatte ein Fahrgast ohne Ticket den Kontrolleur, der seine Personalien aufnehmen wollte, ins Gesicht geschlagen. Eine typische Situation, sagt Bruns, jedoch nicht vergleichbar mit dem, was in Brüssel passiert sei -- Iliaz Tahiraj war niedergeschlagen worden, als er einen Unfall protokollieren wollte.
EVAG-Sprecher Jens Kloth macht vor allem das verbindliche Deeskalationstraining für Mitarbeiter dafür verantwortlich, dass „bei uns nix los ist“. „Unsere Fahrer und Kontrolleure lernen, wie man sich helfen kann, wie man sich in schwierigen Situationen verhalten sollte, wann man besser die Polizei ruft.“
Video-Überwachung und Deeskalation sollen helfen
Auch Vestische und BoGeStra haben gute Erfahrungen mit solchen Schulungen gemacht. „Schläger“, so Norbert Konegen, „suchen schließlich Opfer, keine Gegner!“ Das vierstufige Sicherheitskonzept der Vestischen umfasse den „kontrollierten Einstieg“ vorne, Videokameras für alle Busse und die Notruf-Taste, mit der der Fahrer im Notfall Livebilder direkt in die Leitstelle der Polizei übertragen kann.
Doch eines, das sind sich alle drei Sprecher einig, bleibt besorgniserregend, auch wenn es die Zahl der Überfälle nicht wirklich sei: die Art der Angriffe. Denn seit Jahren schon registriere man nicht mehr, aber heftigere Brutalität. Früher, erinnert sich Sandra Bruns, schubste der ertappte Schwarzfahrer den Kontrolleur im schlimmsten Fall weg. „Heute schlägt er ihn nieder.“