Essen. Die Radprofis der Deutschland Tour fahren am Samstag (26. 8.) durch Essen. Für Autofahrer gibt es viele Absperrungen. Das führt zu Verkehrschaos.
Viel Staus und viel Ärger und Diskussionen an den Straßen-Absperrungen, aber auch Spannung und Jubel bei Sportbegeisterten, als der Rad-Pulk endlich kam – die Deutschland Tour stürzte Essen am Samstagnachmittag (26. 8.) in ein Wechselbad der Gefühle.
Viele scheinen die Warnungen nicht mitbekommen zu haben
Als die Radprofis der Deutschland Tour kurz nach 17 Uhr in Höhe Schloss Hugenpoet Essener Stadtgebiet erreichen und kaum 20 Minuten später durch Holsterhausen sausen, sind einige Straßen in der Stadtmitte schon seit 11.30 Uhr gesperrt. Obwohl im Vorfeld auf allen medialen Kanälen breit angekündigt, scheinen viele Autofahrerinnen und Autofahrer das aber nicht mitbekommen zu haben. Auf den Straßen vor allem rund um den Stadtgarten, wo später der Zieleinlauf sein wird, herrscht reichlich Chaos. Friedrichstraße, Bismarckstraße, Teile der Rüttenscheider Straße sind um die Mittagszeit dicht, der Ausweichverkehr und die Wendemanöver verstopfen rasch auch die kleineren Straßen im Südviertel.
Auch rund um die Innenstadt gibt es kleine und größere Staus, zum Beispiel auf der Hindenburgstraße. Die Autofahrer suchen ihre vertrauten Wege und stehen dann überrascht vor den Sperren. Diskussionen, die es reichlich gibt, sind zwecklos, viele müssen mühsam wenden. Auf der Gemarkenstraße – welche die Radprofis ebenfalls passieren – werden Autos abschleppt, die das Parkverbot nicht beachtet haben. Auch auf der Rüttenscheider Straße hat sich ein Rückstau all jener gebildet, die kehrtmachen müssen. Man hört viel Fluchen.
Am Stadtgarten hingegen herrscht schon mittags gute Stimmung. Dort an der gesperrten Huyssenallee erreichen die Rennradfahrer gegen 17.30 Uhr ihr Etappenziel. Schon seit 13 Uhr gibt es ein Rahmenprogramm, Fahrradfans mit und ohne Renn-Ambitionen schauen vorbei, Info-Stände warten auf Besucher, TV-Kameras sind aufgebaut. Auch andernorts wird gefeiert. So hat sich zum Beispiel an der Ecke Am Mühlenbach/Wickenburgstraße schon früh eine Gruppe in orangefarbenen Warnwesten mit Flaggen aufgestellt, bereit, den Fahrern zuzujubeln.
Deutschlandtour - Radprofis fahren durch die Stadt
„Wir sind Radfans und sind begeistert, dass die Tour hier vorbeikommt. Wir waren auch schon bei der Tour de France“, berichten Jürgen und Barbara Kleinebeck. Sie bauen einen Pavillon auf, haben Fahnen, Getränke, Maskottchen und den Grill dabei und machen es sich gemütlich. Das Paar kommt aus Schonnebeck, aber sie treffen sich dort mit ihren Freunden Jürgen Bossems und Jörg Trojovsky. „Wir wollen Flagge zeigen, damit vielleicht mehr solcher Events nach Essen kommen“, sagen sie.
Bei teils aggressiven Diskussionen ist bei den Ordnern kühler Kopf gefragt
An der Gemarkenstraße dagegen ist zunächst nicht viel los, nur wenige warten am Straßenrand auf die Ankunft der Radprofis. Mit der Zeit werden es etwas mehr, die Zahl der Radsportfans bleibt aber überschaubar. Um 16 Uhr werden auch in Holsterhausen die Straßen gesperrt. Auch hier bilden sich Staus vor den Sperren. An der Ecke Schadowstraße/Keplerstraße diskutiert die Mitarbeiterin eines Pflegedienstes mit einem Ordner. Sie müsse da dringend durch. Vergeblich. „Wenn etwas passiert, bin ich dran“, sagt der Ordner. Zu diesem Zeitpunkt sind die Rennradfahrer zwar noch nicht mal in Kettwig, aber Vorschrift ist Vorschrift.
Jochen Meiler steht als freiwilliger Ordner an der Ecke Windmühlenstraße/Keplerstraße, wo sich circa 50 Zuschauerinnen und Zuschauer positioniert haben. Mit Engelsgeduld moderiert der Zwei-Meter-Mann die Beschwerden der Autofahrer weg, die manches Mal aggressiv reagieren, wenn sie merken, dass es für sie kein Durchkommen gibt. „Ich kann die Leute verstehen, und jeder hat gute Gründe, gerade jetzt hier durch zu müssen. Aber am Ende sind es doch nur zwei Stunden, in denen die Straßen gesperrt sind.“
Aus dem Urlaub und dann nicht sofort nach Hause können – das gibt Ärger
Karen Müller überzeugt das nicht. „Wie kann man das derart dilettantisch organisieren“, schimpft sie. Wie sie denn nun nach Werden kommen solle. Meiler versucht es, ihr zu erklären. Ein anderer kommt mit Frau und zwei kleinen Kindern aus dem Urlaub, hat nichts mitbekommen vom Rennen und will nun in sein Wohngebiet. Auch er muss leider warten.
Ganz reibungslos verläuft die Organisation aber tatsächlich nicht. So wird die Ausfahrt des Aldi-Parkplatzes an der Keplerstraße gesperrt, als darauf noch Autos parken– die Fahrer kommen erst einmal nicht mehr raus. Kundinnen und Kunden berichten, dass sie darüber niemand informiert habe. Meiler sagt, dass Aldi das eigentlich hätte regeln müssen, er reagiert aber pragmatisch, zumal die Aldi-Einfahrt knapp neben der Rennstrecke liegt. Die Kunden dürfen schließlich noch schnell noch den Parkplatz verlassen. Allerdings wenn es an den rund hundert weiteren Sperrstellen auch so viele Diskussionen gibt wie hier, dann summiert sich das jedenfalls ganz schön.
Allerdings: Es gibt auch die andere Seite: Leute, die sich wirklich freuen, dass „endlich mal was los ist in Holsterhausen“, wie das Ehepaar Kwiel, das es sich mit drei Enkeln am Straßenrand gemütlich gemacht hat. „Wir wollen ihnen mal was anderes zeigen“, sagen sie. Sportbegeistert ist Thomas Kiehl, der ein paar Meter weiter wohnt, selbst gern Rad fährt und sich einfach freut, „dass in Essen so ein tolles Event stattfindet“. Und auch Hartmut Peltz, Leiter des Amtes für Personalwirtschaft der Stadt Essen, hat sich zu der, knapp 100 Leute starken Schaulustigen-Gemeinde an der Ecke Windmühlenstraße/Keplerstraße gesellt. „Für Essen ist das eine wirklich gute Sache“, sagt er.
Die Ecke Windmühlenstraße/Keplerstraße ist strategisch gut gewählt
Der Ort ist strategisch gut gewählt. Die Fahrer kommen die lange Windmühlenstraße runter, die ein leichtes Gefälle hat, dann geht’s scharf rechts auf die Keplerstraße. Das ist spektakulär, und man sieht den rasend schnellen Pulk relativ lange. Thomas Kiehl schaut auf dem Handy die Liveübertragung, sagt an, wenn sie in Kettwig sind, den Schuirweg verlassen und sich schließlich Holsterhausen nähern. Das alles dauert nur wenige Minuten, wo normale Radfahrer Stunden bräuchten. Dann geht alles ganz schnell. Erst kommen Motorräder, dann wird der spätere Etappensieger bejubelt, dann naht der Pulk, dann die Begleitfahrzeuge, dann ein zweiter Pulk. Nach gut fünf Minuten ist alles vorbei.
Ein halbe Rad-Minute weiter an der Kirche St. Maria Empfängnis hat sich eine Gruppe von zehn jungen Leuten mit Blumenketten und Bollerwagen versammelt. „Wir hatten sowieso eine Tour mit dem Bollerwagen vor und haben die Deutschland Tour quasi in unser Programm eingebaut“, sagt Philipp, der selbst Rennrad fährt. Sein Bekannter berichtet von schlechter Stimmung in der Straßenbahn. „Die Leute waren sauer, weil so viel gesperrt ist und Bahnen ausfallen“, sagt er. Viele hätten den Fahrern ziemlich böse „Hals- und Beinbruch“ gewünscht. Er und seine Gruppe lassen sich den Spaß aber nicht verderben und harren bei Bier und Musik aus, bis das Fahrerfeld vorbeikommt.
Gutgelaunte Motorradpolizisten an der Gemarkenstraße
Die Helfer an den Sperren lassen Anwohner der Seitenstraße der Gemarkenstraße freundlich durch, auch wenn diese vereinzelt aggressiv auf die Absperrungen reagieren. Gutgelaunt zeigen sich die Motorradpolizisten, die lange vor dem Feld schon den Vorplatz der Kirche St. Maria Empfängnis an der Gemarkenstraße passieren, wo doch etliche Familien auf die Vorbeifahrt der Radprofis warten. Auf Jubel und La-Ola-Welle des Publikums reagieren die Polizisten ebenfalls mit erhobenen Armen und Winken.
Insgesamt ist die Stimmung auf der Gemarkenstraße gut, vor allem die Kinder haben ihren Spaß. Vereinzelt schauen Anwohner aus dem Fenster auf das Treiben auf der Straße. Viele halten sich im und vor dem Eiscafé Tosca auf, weil dort das Rennen auf einem großen Fernseher läuft und die Wartenden so verfolgen können, wo sich die Fahrer gerade befinden.
Wieder eine Minute später am Ziel an der Huyssenallee ist es zwar voll, aber so, das fast alle einen Platz direkt an der Absperrung haben. Als die Fahrer kommen, wird geklatscht, Jubel brandet auf. In Sekundenschnelle ist der Sieger durch, dann folgt auch hier der dichte Pulk. Und hier, am Ziel, trifft man dann auch echte Enthusiasten: Roger Hütt und Viktoria Hölter sind mit ihren beiden Kindern hier, sie kommen aus Langenberg, haben erst dort geschaut und sind dann schnell extra für die Zieleinfahrt nach Essen gefahren. „Wir haben unheimlich Spaß am Radsport, fahren selbst und schauen uns gerne solche Events an“, sagt Hütt.
Für sie und viele andere war es ein perfekter Tag, zumal das Wetter nicht besser hätte sein können. Aber, wie erwähnt: Manch einer versteht nicht, warum sich Essen solch eine „Störung“ in die Stadt holt und für diese vermeintliche Ehre auch noch 300.000 Euro zahlt.
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