Essen. Beim Festival „Now“ wird die alte Grimm-Geschichte als modernes Musiktheater präsentiert.Die Philharmoniker kommen dafür zum Auswärtsspiel in die Casa des Schauspiel Essen

„Parallelwelten“ ist das diesjährige Festival für neue Musik „Now“ überschrieben und soll in unbekannte Klangsphären führen. Neben der Eroberung akustischer Paralleluniversen gehört aber gerade auch das Vernetzen und Zusammenspiel der verschiedenen städtischen Institute zum Programm. Folkwang Universität und Folkwang Musikschule sind am Wochenende mit großen Produktionen beteiligt, gespielt wird dabei nicht nur in der Philharmonie, sondern auch auf Zollverein und auf dem Werdener Uni-Campus. Und in der Casa des Schauspiel Essen präsentiert das Now-Festival ab Samstag seine erste szenische Premiere in englischer Sprache als Gemeinschaftsproduktion der Theater und Philharmonie: „Into the Little Hill“ ist die zeitgenössische Opernfassung der alten Grimm-Geschichte vom „Rattenfänger von Hameln“ .

Es geht um den Wert der Musik

Manchem wird es dabei gehen wie Regisseur Kay Link, der die mittelalterliche Sage vom Rattenfänger und den geraubten Kindern noch in etwas milderer Kindheitserinnerung hatte. Die 2006 uraufgeführte Opernfassung von George Benjamin (Musik) und Martin Crimp (Text) kommt dabei durchaus zeitbezogen und gesellschaftskritisch daher, ohne politische und historische Anspielungen auf Verfolgung und Ausgrenzung mit der Brechstange herzustellen.

Konzert im Salzlager

„The Amputation of Charlie Sharp“ heißt die Oper von Stefan Hakenberg, die am Sonntag, 15 Uhr, im Salzlager der Kokerei Zollverein aufgeführt wird.

Die Kooperation von Folkwang Musikschule, Landesmusikrat NRW und der Stiftung Zollverein bringt zahlreiche Akteure vom Jugendzupf-Orchester NRW bis zum NRW-Percussionensemble Splash zusammen. Die Gesamtleitung hat Christian de Witt, Leiter der Folkwang Musikschule, der die Idee schon im Kulturhauptstadtjahr mit Stefan Hakenberg geboren hat.

Der konzertanten Aufführung soll im kommenden Jahr eine szenische Aufführung folgen.

Im Mittelpunkt steht ohnehin die Musik. Und der in diesen Tagen wieder höchst aktuelle Kampf um deren Bezahlung. „Musik? Nebensächlich!“, findet jedenfalls der Minister im Stück und streicht dem pfeifenden Rattenfänger, der die Stadt vor der Nagerplage befreit hat, kurzerhand den Lohn. Was danach passiert, wissen wir aus der alten Grimm-Geschichte. Der Musiker geht. Und mit ihm verschwinden die Kinder, die Jugend und die Zukunft.

In Essen wird die düstere, doppeldeutige Geschichte auf einer großen, goldenen Präsentierplatte serviert. Und die 15 Musiker der Essener Philharmoniker sind, anders als in sonstigen Opernaufführungen, ganz zentral auf der Bühne positioniert. „Wir tun so, als sei die Erde eine Scheibe“, erklärt Ausstatter Andreas Jander das Bühnenbild, das die Welt in ein Über- und Untertage teilt. Oben die, die sich in ihrem Wohlstand von denen da unten bedroht fühlen. Nur ein Kind tritt dem entgegen und bekommt mit Pia Graut in Essen sogar eine eigene, stumme Spiel-Rolle. Viel zu tun haben aber vor allem die beiden Solistinnen. Marike Steenhoek und Helena Rasker singen alle Rollen der hochkomplexen Partitur, sind Volk, Minister, Musiker und Erzähler. Ein kammermusikalischer Kraftakt in einer knappe Dreiviertelstunde.