Gesetzesverschärfungen und der Skandal um die Entsorgungsbetriebe sind für die Stadt Anlässe, härtere Regeln zu beschließen. Gut so. Wenn Stadtmitarbeiter aber nicht mehr zu Netzwerker-Treffs kommen dürfen, schlägt das Pendel zu weit in die andere Richtung aus.
Bürokratische Regelungen machen das Leben leichter, weil dann alle wissen, welches Verhalten richtig und welches falsch ist. Einerseits. Andererseits ist es eine Fiktion zu glauben, es ließe sich jede banale individuelle Alltagsentscheidung per Gesetz und Verordnung sinnvoll festlegen.
Die Gefahren lassen sich derzeit in Essen besichtigen. Es ist richtig, dass die Stadt ein Regelwerk erarbeitet, damit ein Mega-Skandal wie die Selbstbedienungsneigung bei den Entsorgungsbetrieben künftig nicht wieder vorkommt. Wenn aber Spitzenbeamte neuerdings Einladungen zu einem gänzlich harmlosen Treff wie „Reden mit Essen“ ablehnen, weil es dort ein Glas Wein und eine warme Mahlzeit vom Buffet umsonst gibt, dann muss man leider sagen: Hier schlägt das Pendel mit deutscher Gründlichkeit mal wieder viel zu weit in die andere Richtung aus.
Ein Menschenbild, das von absurdem Misstrauen geprägt ist
Auch interessant
Solcher Art Kleinlichkeit liegt ein Menschenbild zugrunde, das von absurden Misstrauen geprägt ist. Glaubt denn jemand ernsthaft, Entscheider vom Kaliber des Oberbürgermeisters und der Verwaltungsvorstände würden ihr Ja oder Nein zu einem Sachverhalt von einem Freigetränk und einem Schnitzel abhängig machen? Aus der völlig aus dem Ruder gelaufenen Affäre um den früheren Bundespräsidenten Wulff sollten wir doch gelernt haben, dass das wahre Leben eben doch etwas komplizierter ist.
Kein Missverständnis: Korruption und korruptionsähnliche Vergehen müssen verfolgt und verhindert werden, und die WAZ ist stolz darauf, dass sie als erstes Medium den EBE-Skandal ans Licht brachte. Es kann aber nicht so weit gehen, dass künftig schon als korrupt gilt, wer im kleinen Kreis beieinandersteht und nicht sofort den Geldbeutel zückt, wenn ein kostenloses Getränk naht.
Jeder in Wirtschaft, Politik und auch Medien muss wissen, wo die Korruption beginnt. Kurse, wie jetzt für die Ratsleute, sind dabei der richtige Weg. In dem weiten Feld davor naber muss auch künftig der gesunde Menschenverstand erlaubt sein. Damit aus berechtigtem Misstrauen kein krankhaftes wird.