Essen. . Altendorf zählt schön länger zu den Schwerpunkten der Essener Rauschgiftszene. Auf der Altendorfer Straße / Ecke Helenenstraße wird inzwischen auch tagsüber offen mit Heroin gedealt. Die Anwohner sind verunsichert und fühlen sich von der Polizei im Stich gelassen.

Von seinem Wohnzimmer aus kann Hans Zander ein belebtes Teilstück der Altendorfer Straße überblicken. Schaut der 67-Jährige über die Straßenbahngleise der Linie 106, sieht er eine Bäckerei, einen Juwelier, ein Reisebüro und eine recht dunkle Toreinfahrt im gegenüberliegenden Haus. Nichts Besonderes könnte man meinen. Doch der erste Eindruck täuscht: Seit fünf Monaten handelt hier eine fast noch jugendliche Bande Tag und Nacht mit harten Drogen. Zander, der das Haus aus gesundheitlichen Gründen nur selten verlassen kann, beobachtet seitdem zahllose Straftaten.

„Inzwischen ist es schon so weit, dass selbst Kinder angesprochen werden“, empört sich der Rentner. „Und in dem Torbogen haben sich Frauen prostituiert, um auf diese Weise ihre Drogen bezahlen zu können.“ Im Wohnzimmer der Familie Zander haben sich einige Nachbarn versammelt, die ebenfalls von ihren Sorgen berichten wollen. Ihre Namen möchten sie nicht in der Zeitung lesen. Zu groß sei die Angst vor Repressalien, heißt es auf Nachfrage. „Ich habe sogar schon nach Wohnungen in anderen Stadtteilen geguckt, aber das ist doch auch keine Lösung“, sagt eine Mieterin mit drei Kindern. Eine ihre Töchter habe inzwischen Angst auf die Straße zu gehen, berichtet sie. Auch sie selbst wurde bereits von den Männern angesprochen. Jemand anderes erzählt, dass ein Ladenbesitzer mit dem Messer bedroht wurde, als er die Drogenbande vor seiner Eingangstür vertreiben wollte. Dann berichtet ein Mieter, dass man ihm auf der Polizeiwache gesagt hätte, die Beamten seien machtlos. Schuld daran seien die Politiker in Berlin.

Polizei ist auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen

Tatsächlich wissen die Behörden, was auf der Altendorfer Straße passiert. Der Stadtteil zählt schon seit längerem zu den Brennpunkten der Essener Drogenszene. Gehandelt wird hier vor allem mit Heroin, wie Jürgen Lamm von der „Suchthilfe direkt“ erklärt. Nachdem die Drogenszene am Essener Hauptbahnhof im Zuge der Sanierung zerschlagen wurde, haben sich die Dealer in den Stadtteilen dezentral organisiert. Die Brehminsel in Werden ist einer dieser Problempunkte.

„Wir verzeichnen in Essen konstant 3.500 bis 5.000 Heroinabhängige“, sagt Lamm. „So lange es Abnehmer gibt, wird man auch den Drogenhandel nicht ganz eindämmen können.“ Die Polizei versichert auf Nachfrage der NRZ, das Problem mit allen Mitteln anzugehen und verweist auf diverse Aktionen der letzten Monate. In der Tat gingen den Ermittlern erst Ende Juli zwei Personen auf der Altendorfer Wordstraße ins Netz. Bei einer Razzia in einer Privatwohnung konnte in einer Kühltruhe Cannabis im Wert von 40.000 Euro sichergestellt werden. Zuvor wurden in einem Bistro auf der Heintzmannstraße zwei Personen überprüft, die sich nicht in Essen aufhalten durften. Und auf der Altendorfer Straße nahmen die Beamten einen 18-jährigen Mann fest, der in der Schweiz zur Fahndung ausgeschrieben ist.

„Wir dulden den Drogenhandel nicht“, betont Polizeisprecher Marco Ueberbach. „Die Dealer sind sehr selbstbewusst und denken, sie seien in einem rechtsfreiem Raum, aber so ist das ganz und gar nicht.“ Ueberbach sagt, er könne verstehen, dass die Anwohner besorgt seien. Er betont aber auch, dass die Polizei weiter auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen sei. Im Verbund mit dem Gesundheitsamt, der Ausländerbehörde oder der Deutschen Bahn plane man groß angelegte Aktionen, die den Druck auf die Drogenszene erhöhen sollen, so Ueberbach. „Es gibt darüber hinaus laufend Maßnahmen, etwa von den Kollegen in Zivil, was vielen Anwohner nicht auffällt. Dazu zählen Identitätskontrollen, Durchsuchungen, Platzverweise und Strafanzeigen.“

Dealer in die Flucht geschlagen

Die Anwohner der Altendorfer Straße versuchen sich unterdessen selbst zu helfen. In den Hauseingängen hängen seit einigen Wochen Zettel, auf denen steht, dass man sich nicht im Eingangsbereich aufhalten dürfe. Im Fenster der nahegelegenen Bäckerei lag eine Zeit lang sogar eine Unterschriftenliste aus, in die sich alle Bürger eintragen konnten, die ein stärkeres Vorgehen der Polizei wünschten. Hans Zander hat eines Nachts seine alte Spiegelreflexkamera aus dem Schrank geholt und wild aus dem Fenster geblitzt, um die Dealer aufzuschrecken. „Es hat kurzzeitig funktioniert. Für einen Tag war alles ruhig.“

Aber die Drogenhändler sind längst wieder auf ihre Stammplätze zurück gekehrt. Acht bis zehn dunkelhäutige Männer kontrollieren das Areal rund um den Torbogen vor Zanders Haus. Einer von ihnen trägt einen Rucksack mit sich und läuft von Zeit zu Zeit zielstrebig auf eine Person zu. Dann geht alles ganz schnell: Beide strecken ihre Hände aus, es scheint als würden sich zwei alte Bekannte im Vorbeigehen begrüßen. Zwei Sekunden später haben Heroin und Geld den Besitzer gewechselt. „Die Päckchen werden unter den Fußmatten der Hauseingänge versteckt“, berichtet Zander. „Wenn die Polizei kommt, werfen die ihre Tütchen weg oder schlucken sie hinunter und keiner kann ihnen den Besitz nachweisen.“ Marco Ueberbach von der Polizei betont, man werde in Zukunft noch mehr Präsenz in Altendorf zeigen und selbst Kleinstdelikte strikt ahnden. „Wir wollen wieder eine gewisse Struktur in den Stadtteil bringen und dadurch das Sicherheitsgefühl der Bürger stärken.“