Essen. Oberbürgermeister Reinhard Paß im zweiten Teil des Sommerinterviews: über das - „im Nachhinein“ - zu lange Festhalten an EBE-Chef Klaus Kunze, die Zukunft der Sparpolitik und über Essen als Opfer der Energiewende. Seine persönliche Bilanz seit Amtsantritt 2009: „Trotz schwierigster Rahmenbedingungen viel erreicht“.
Bei der innerparteilichen Kritik an Oberbürgermeister Reinhard Paß, zuletzt durch die designierte Parteichefin Britta Altenkamp, geht es um die Person, aber auch um die Sparpolitik. Paß sieht dazu aber auch künftig keine Alternative.
Herr Paß, wenn Sie einmal die bisherigen fünf Jahre Ihrer Amtsführung mit einer Überschrift versehen: welche könnte das sein?
Reinhard Paß: „Trotz schwierigster Rahmenbedingungen viel erreicht“. Damit meine ich die Finanzen und die Mehrheiten im Rat. Wir haben ein neues Stadion gebaut, wir haben in der Kinderbetreuung viel aufgesattelt, wie haben ein Fünf--Millionen-Jahresprogramm zur Wiederherstellung unserer Straßen aufgelegt, wir haben das Thema Messe angepackt, wenn es auch nicht zu Ende geführt werden konnte, weil die Bürger unsere Pläne anders gesehen haben. Ich stelle fest, das alles sind gerade auch sozialdemokratische Anliegen.
Bei Sparvorschlägen wehte Ihnen der Wind aber oft ins Gesicht.
Paß: Ja, aber ich stehe zu meinem Grundsatz: Lieber weniger Einrichtungen, dafür mehr Qualität. Brauchen wir wirklich die vielen Bürgerämter, obwohl jeder einzelne Bürger dort nur selten zu tun hat? Brauchen wir die 90 Grundschulen, wenn man auch mit 60 auskäme, die dann baulich auf höherem Niveau sein könnten?
Es deutet sich an, dass Sie beim Haushalt ohne Steuererhöhungen nicht auskommen.
Paß: Das mag sein. Wenn die Energiewende nicht gekommen wäre und damit sinkende Gewerbesteuereinnahmen und sinkende RWE-Dividende, dann hätten unsere Pläne zum Haushaltsausgleich auch ohne höhere Steuern funktioniert. Aber das war nicht absehbar.
Soll der bisher wenig geglückte Strategieprozess Essen 2030 eigentlich fortgeführt werden?
Paß: Dieser Prozess wird von einigen verkannt. Wenn die Geld-Gießkanne weg ist und wir uns von Aufgaben trennen müssen, dann müssen wir auch eine Basis dafür schaffen in der Bevölkerung. Wir brauchen Akzeptanz, und das wollen wir mit diesem Prozess herstellen, indem wir die Vorstellungen der Menschen erfragen und aufgreifen und sie mitnehmen.
Keiner bestreitet ja, dass sie über die Zukunft unserer Stadt nachdenken und uns Bürger einbeziehen sollen. Aber braucht man dafür diese etwas kopflastige Herangehensweise?
Paß: Es geht da durchaus konkret zu. Denken sie an den Masterplan Industrie. Industrie ist heute nicht mehr das, was viele noch im Kopf haben, aber das muss man auch vermitteln. Wir brauchen die Flächen, und die Akzeptanz, eine breite Beteiligung ist da zwingend.
Der Skandal um die Entsorgungsbetriebe hat Sie viel Sympathien gekostet. Warum haben Sie sich so vorbehaltlos vor den damaligen Geschäftsführer Klaus Kunze gestellt?
Paß: Ich will mich nicht rausreden. Richtig, ich war Aufsichtsratsvorsitzender der EBE. Dennoch wusste ich vieles nicht, was Miteigentümer Remondis an die Öffentlichkeit gebracht hat. Ich wusste nicht, wer da beim Fußball gesessen hat, wieviel der Betriebsrat verdiente und welche Kredite es gab. Da wussten andere im Unternehmen mehr.
Sie haben sich jedenfalls sehr für die Verlängerung von Kunzes Vertrag weit über die Altersgrenze hinaus stark gemacht.
Paß: Im Nachhinein wäre es besser gewesen, das hätten wir nicht gemacht, ohne Zweifel. Aber das hätte nichts an dem geändert, was dann an Unregelmäßigkeiten bekannt wurde. Ich habe viel gestaunt, glauben Sie es mir. Generell gibt es ein Problem mit der seltsamen Konstruktion der Mutter-Tochter-Gesellschaften. Da waren in der Holding EVV dieselben Leute Geschäftsführer wie in den Tochtergesellschaften: Klaus Kunze und der damalige Stadtwerke-Vorstand Bernhard Görgens mussten bei Klaus Kunze und Bernhard Görgens Druck machen, damit die Töchter mehr Ergebnis an die Holding abführten. Sich selbst zu kontrollieren, das funktioniert nicht. Deshalb habe ich auch beschlossen, aus den Aufsichtsräten, etwa bei der EBE herauszugehen.
War das nicht vielmehr das Eingeständnis einer Mitschuld?
Paß: Auf keinen Fall. Es ging mir darum, mehr Transparenz und Klarheit zu schaffen: Noch mal: Man kontrolliert sich da ja selber und das geht nicht.
Der Messe-Bürgerentscheid, der für Sie eine Niederlage war, hat gezeigt, dass in Essen die politische Kommunikation nicht gut funktioniert. Müssen Sie einen anderen Stil pflegen?
Paß: Man kann immer besser werden, ohne Zweifel. Ich habe allerdings die Erfahrung gemacht: Wenn jemand etwas partout nicht will, kommt man auch mit guten Argumenten nicht immer weiter. Und wenn Sie betont sachlich argumentieren, dann werden sie als Technokrat hingestellt und haben dann eh verloren. Veränderungen sind einfach schwierig geworden, nicht nur in Essen. Das kann auch eine Folge der älter werdenden Gesellschaft sein, die sehr das Bewahren in den Vordergrund stellt. Motto: Für mich reicht es doch.
Sie haben schon am Abend der Ratswahl im Mai 2014 klar gesagt, sie wollen 2015 wieder antreten. Was haben Sie vor mit dieser Stadt, was sind Ihre Ideen?
Paß: Das Thema Haushalt wird bleiben und das Thema Messe auch. Wenn Sie mich nach neuen Ideen fragen: Da geht es etwa um die interkommunale Kooperation im Ruhrgebiet, ein Thema der Zukunft. Die Frage ist: Wie kriegen wir es hin, die Dienstleistungsqualität der Stadtverwaltung zu halten und trotzdem Personal einzusparen. Das geht nicht in den Einheiten der Städte alleine. Es bietet sich beispielsweise in einem ersten Schritt an, die Auszahlung von Beihilfe für städtische Beamte regional zu organisieren. Für diese Aufgabe können wir den RVR als unseren Umlageverband nutzen.
Die ersten Reaktionen des RVR waren ablehnend.
Paß: Wenn der RVR Bedeutung haben soll, dann wird das nicht mit akademischen Diskussionen gelingen, sondern indem man einfach mal was macht. Das ist dann wirklich eine Chance, dass sich etwas in Richtung einer gemeinsamen Region entwickelt.